Leporello im Gespräch mit Constantin Carl, dem Geschäftsführer der Haas Holding GmbH, über Zeitpläne, Zeitpuffer ...

von Susanna Khoury (erschienen in Ausgabe 7/2015)

Leporello (L): Welche Rolle spielt die Zeit im Tagesgeschäft eines Sanitätshauses?
Constantin Carl (CC): „Die Frage ist, welche Rolle spielt Zeit im Gesundheitswesen? Durch den Kostendruck im Gesundheitswesen wird „Zeit“ zur Mangelware und somit teuer. Das steht im krassen Widerspruch zu „Zeit heilt alle Wunden“. Wenn wir dieses alte Sprichwort wörtlich nehmen, sind wir nah an der Problematik: Heilungsprozesse brauchen Zeit und ebenso die begleitende Versorgung. Und was nicht vergessen werden darf: einer ordentlichen Versorgung muss immer eine entsprechende Beratung vorausgehen. Mit anderen Worten, wenn wir unseren Job ernst nehmen, dann verkaufen wir nichts anderes als „Zeit““.

L: Welche Aufgabenfelder sind eng an einen Zeitplan gebunden, wo muss man Zeitpuffer einplanen?
CC: „Wir haben zeitliche Vorgaben durch unsere Kunden, durch Notfälle, durch das Entlassungsmanagement der Krankenhäuser (Entlassungen erfolgen immer kurzfristiger, was für uns bedeutet, dass wir zeitnah reagieren müssen). Zeitvorgaben gibt es auch durch Routinen wie regelmäßige Verbandswechsel, Ernährung oder Katheder. Wir müssen also unterscheiden: „Zeitliche Routinen“ oder „Zeitsouveränität“ – die richtet sich nach der Komplexität des Falles. Je komplexer der Fall, desto zeitintensiver. Außerdem ist das von Individuum zu Individuum unterschiedlich, da bei Krankheitsbildern immer auch die Psyche eine Rolle spielt. Viele Gespräche, die unsere Kollegen führen, sind häufig von Sorgen und Nöten unserer Kunden geprägt. Dies muss aber „mitversorgt“ werden, da erst dann die Voraussetzung für eine ordentliche Beratung möglich ist!“

L: Wie lässt sich Zeit im Umgang mit Menschen managen, so dass es keine Negativbilanz für den Patienten wird?
CC: „Das ist ein gute Frage und noch dazu eine schwierige. Da „Zeit“ etwas so individuelles ist, wie der Mensch selbst, ist hier das Einfühlungsvermögen unserer Kollegen gefragt. In der asiatischen Kultur, speziell in Japan, ist das ‚Bauchgefühl’ Bestandteil des Managements. Menschen in unseren Breitengraden tun sich schwer mit Dingen, die nicht greifbar sind. Die Besonderheit in unserer Branche ist, dass die erfolgreichsten Versorger einen hohen Grad an Empathie mitbringen. Das ist aus unserer Sicht die wichtigste Voraussetzung. Die Menschen müssen dann langsam lernen, dass gute Versorgung auch Geld kostet durch Einsatz von „Zeit“ und Ware. Dennoch steht die Fürsorge im Vordergrund.“

L: Welche Haas-Produkte sparen Zeit?
CC: „Jede Hilfe und jedes Hilfsmittel, die/das dazu beiträgt, dass der Patient sich wohl fühlt, spart Zeit, weil der Kunde seinen Alltag damit einfacher gestalten kann. Jeder Schmerz und jedes Leid, welches falsch oder nicht versorgt wird, behindert den Menschen und damit seinen „Zeithaushalt“.

L: Stichwort Chronobiologie – innere Uhr – wie sehr wird die Chronobiologie in Ihre Arbeitsplanung/-abwicklung – Mitarbeiter oder Kunden einbezogen?
CC: „In Planung ist eine strategische, langfristige Einbindung der Chronobiologie in unser Tagesgeschäft in Zusammenarbeit mit ChronoCity BadKissingen. Im Fokus steht nicht hektischer Aktivismus, sondern seriöser Erkenntnisgewinn zum Wohle von Mitarbeitern und Kunden. Besonders in Seminaren zum betrieblichen Gesundheitsmanagement werden wir dieses Thema verstärkt einbinden!“

L: Welchen Stellenwert hat Ihrer Meinung nach die Chronobiologie in Zukunft?
CC: „Sie wird zu einem revolutionären Verständnis von ganzheitlicher Gesundheit führen. Eine der letzten großen Innovationen der Medizin war die Erkenntnis, dass die hygienische Maßnahme des Händewaschens Leben retten kann. Den gleichen Stellenwert wird das Bewusstsein um die „Schlafhygiene“ verbunden mit den natürlichen Rhythmen haben. Beides betrifft alle Menschen ohne Ausnahme. Beides ist grundsätzlich einfach zu verstehen. Zum Zeitpunkt der Erkenntnis erschien es noch unmöglich, allen Menschen überall die Möglichkeit des Händewaschens bieten zu können. Eine ähnliche Entwicklung wird es in Bezug auf die Chronobiologie geben. Wo wir uns heute noch nicht vorstellen können, dass es tatsächlich machbar sein wird, die Chronobiologie überall anwenden zu können, wird es in Zukunft normal sein. Prozesse und Produkte werden sich entwickeln. Ein Beispiel soll hier die Bedeutung unterstreichen: Es wurde in einer Studie herausgefunden, dass Krankenhäuser, deren Frühaufsteher- Patienten (Lerchen) ein Bett auf der Ostseite des Gebäudes erhielten, bis zu 40 Prozent bessere Heilerfolge aufweisen konnten als diejenigen, deren Zimmer nicht ihrer inneren Uhr entsprechend ausgerichtet wurde.“

L: Wo ist der Einsatz der Chronobiologie sinnvoll, wo nicht?
CC: „Grundsätzlich ist der Einsatz der Chronobiologie aus gesundheitlicher Sicht überall sinnvoll. Die aus der Industriellen Revolution heraus entstandene rein ökonomische Sichtweise steht in der heutigen Zeit jedoch vielfach dagegen. Die Kunst für innovative Entscheider ist es, hier einen Weg zu finden, diese gesundheitliche Sicht in die ökonomische Betrachtung einzubeziehen. Fehlzeiten, gesunde Mitarbeiter, geringere Fluktuation, gesteigerte Motivation, effektiveres Arbeiten etc. als erklärtes Ziel nicht mit rein extrinsischen Anreizen, sondern über den Weg der Berücksichtigung der natürlichen Bedürfnisse zu erreichen. Die Chronobiologie ist da ein wunderbarer Einstieg, da sie keine Nischenwissenschaft ist, sondern jeden einzelnen der sieben Milliarden Menschen 24 Stunden am Tag ohne Unterbrechung berührt. Daher macht es grundsätzlich Sinn, dies auch in alle Bereiche einzubinden, die uns in diesen 24 Stunden begegnen. Wo man es tatsächlich umsetzen kann, sollte auf Basis der Frage passieren „Was können wir erreichen!“ und nicht mit der Aussage beginnen „Es geht nicht, weil…!"

L: „Zeit schenken“ – Haas hat mehrere Projekte, wo bewusst unabhängig von Zeitplänen und dem Diktat der Uhr agiert wird! Welche sind das?
CC: „Café-Ecken in den Sanitätshäusern, um sich mit Gleichgesinnten unterhalten und eine gute Tasse Cafè genießen zu können, oder kulturelle Einladungen mit Vernissage oder Konzert bei uns in den Sanitätshäusern. Darüber hinaus soziales Engagement in der Beschäftigung von Menschen mit Behinderung: Brücken bauen e.V., Schif e. V. oder die 'Zeigt her eure Füße'-Aktionen in Kindergärten. Zeit investieren wir aber auch in neue Arbeitsmodelle für Menschen aus dem zweiten Arbeitsmarkt (Stichwort Inklusion). Und wir sammeln über den Verein „Brücken bauen“ Spenden für Menschen, die unverschuldet Leid erfuhren: Wir realisierten beispielsweise ein Klavier für ein Schmetterlingskind oder ein Laufband für ein stark gehbehindertes Kind. Ebenso die neuen Bassboxen für die Inklusionsband „Mosaik“. „Zeit schenken“ geht aber auch im täglichen Miteinander: In jeder Minute, in der ich unfreundlich sein kann, kann ich auch freundlich sein!“

L: Wie sehr gelingt Ihnen der Umgang mit der Zeit in Ihrem persönlichen Leben?
CC: „Und zum Schluss kommt die Kontrollfrage – predigt er nur Wasser, trinkt aber Wein… : 1.Stufe: Ich komme ursprünglich aus der Industriewelt. Dort gab es nur ein Gesetz: „Zeit ist Geld“. Dort habe ich gelernt, wie ich meinen Zeithaushalt optimieren kann bis es sogar ungesund wurde. Aus diesem Grund bin ich nach fast 20 Jahren Tätigkeit vor drei Jahren ausgestiegen. 2.Stufe: Heute arbeite ich mit Leidenschaft in der Welt des Gesundheitswesens. Sie inspiriert mich jeden Tag aufs Neue und ich hätte gerne 36 Stunden pro Tag. An der dritten Stufe arbeite ich noch: Frei nach dem Motto 'in der Dosis liegt die Kraft', versuche ich meine Zeit zwischen Familie und Beruf auszupendeln, sodass ich die hoffentlich noch lange Zeit meine Berufstätigkeit, auch gesundheitlich gut durchhalten kann. Stichwort ist hier 'Life-Balance' zum Erhalt von Lebensqualität!“

Das Interview mit Constantin Carl, Geschäftsführer der Haas Holding GmbH, führte Leporello- Chefredakteurin Susanna Khoury.

Die Zeit

Ein jeder Schlag von dir
verwundet
Und mäht die Zeit,
dem Schnitter gleich
Je mehr des Zeigers Lauf
sich rundet,
Rückt näher mir das
Schattenreich.

Und doch – wie seltsam –
muss ich sagen,
Lausch' ich gern deinem
Pendelschlag.
Er singt mir von
vergangenen Tagen
Und lullt in Träume mich
gemach.

So sehr
– Minute von Minute –
Mit dir die Zeit von
dannen eilt –
Gleich ob sie ebbe oder
flute – Verwundet sie
zugleich – und heilt.

© Spruch auf einer alten Dielenuhr

Bildnachweis: Norbert Schmelz Fotodesign

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