Ein Gespräch mit Sandra und Ludwig Knoll über den Faktor Zeit beim Reifen und Genießen eines guten Weines

von Susanna Khoury (erschienen in Ausgabe 09/2014)

Sandra Knoll checkt Emails und isst dabei, fährt Auto und telefoniert, kümmert sich um die Kinder und organisiert den Verkauf.

So sieht der ganz normale Alltag der Winzerfrau im Weingut am Stein in Würzburg aus.

Die Gleichzeitigkeit der Aktivitäten bestimmt den Tag, um möglichst viel unterzubringen. Und plötzlich der Cut – zwei Wochen Sri Lanka ohne Handy und Uhr und ohne Verpflichtungen.

„Zuerst war es ein Schock. Wir brauchten Zeit, um uns umzustellen“, erzählt die Powerfrau. „Aber dann hat es uns sehr imponiert, wie die Menschen dort alles handhaben: Sie machen immer eine Sache nach der anderen und sind ganz im Hier und Jetzt!“

Wieder zurück aus dem Urlaub hat der ganz normale Wahnsinn einen leider schnell wieder, aber das ein oder andere hallt nach.

„Sri Lanka hat uns wieder daran erinnert, was wir eigentlicht schon lange wissen: Nicht die Zeit rennt, sondern wir rennen!“, sinniert die Marketingchefin des Weingutes am Stein.

Als Sandra und Ludwig Knoll vor mehr als 25 Jahren das Weingut übernahmen, gab es noch keine Öffnungszeiten, keine wirkliche Vermarktung der Weine und somit auch keinen Druck.

Nun ist das Weingut am Stein eine richtig große Unternehmung, an einem ganz besonderen Ort, der für Qualität, Ambiente und das Besondere steht.

Mit vielen ausgezeichneten Weinen, biodynamischem Anbau und den damit einhergehenden Verpflichtungen von Präsentationen und Präsenzen auf Messen.

Sandra und Ludwig Knoll sind da reingewachsen und wachsen stetig mit ihren Aufgaben.

Ähnlich wie bei ihren Reben im Weinberg erzwingen sie nichts, sondern lassen reifen - ihre Weine, ebenso wie Projekte und Entscheidungen.

„Nach dem Studium“, erzählt Ludwig Knoll, „da wollte ich die Welt verbessern, sprich nur noch Bioweine machen. Das Ergebnis war mehr schlecht als recht.

Die Zeit war einfach noch nicht reif dafür“. 20 Jahre später war es dann soweit, die Zeit war reif und das Weingut am Stein stellte auf biologische Bewirtschaftung um, 2008 sogar auf Biodynamische.

Entwicklungen brauchen Zeit.

„Man muss im Bauch und im Kopf dafür bereit sein“, betont der Winzersohn Knoll. „Bio“ muss wachsen, erst im Kopf, dann draußen auf der Scholle!“ Schon allein die Umstellung von konventionellem Weinbau auf biologischen braucht Zeit.

Biodiversität muss wieder erzeugt werden und das damit einhergehende neue Zusammenspiel von Flora und Fauna. Und auch, dass Rebstöcke von sich aus wieder Schädlinge abwehren können, geht nicht von heute auf morgen.

„Bio“ geht langsam. „Es braucht viel Zeit, bis der Boden wieder seine Lebendigkeit bekommt, die sich dann auch im Glas widerspiegelt. Bioweine sind vital, echt und authentisch und langfristig die einzige Chance für eine Zukunft des Weinbaus!“, betont Knoll.

Weine bilden alles in ihrer Umgebung ab, das Terroir, die Lesart, die Produktionsbedingungen, die Lagerung und nicht zuletzt die Witterung von der Saat bis zur Lese.

„Weine sind Persönlichkeiten mit Charakter und Zeugen ihrer Zeit“, so der Winzer aus Leidenschaft. Damit sich ein Charakter herausbilden kann, muss man guten Weinen Zeit geben, am Stock und im Keller.

Es gibt nach Aussage von Ludwig Knoll drei Zeiten, die für einen Wein prägend sind: Die Zeit der Entstehung – von der Traube bis zur Reife. Hier wird der Grundstock für Substanz gelegt.

Die zweite wichtige Zeit ist die Zeit, wenn der Wein seinen Abnabelungsprozess von der Hefe durchmacht. „Die Metamorphose des Weins“, wie Ludwig Knoll den Ausbau poetisch beschreibt.

Und die dritte wichtige Zeit ist die Zeit des Genießens, wenn der Wein im Glas angekommen ist und auf den Weinfreund/auf die Weinfreundin wartet, der/die ihn zu schätzen weiß.

Der/die sich Zeit lässt, um den ganzen Charakter des Weins zu erfassen und beim Trinken eine Ahnung davon bekommt, was der Wein von der Traube bis zur Abfüllung alles durchlebt hat.

Genuss ist eins der Dinge, die man nicht beschleunigen kann. Zum Glück!

Schnell Etwas genießen, ist ein Widerspruch in sich. Genuss geht nur langsam!

„Wer sich länger mit Wein beschäftigt, erkennt die Seele eines Weines“, versucht Sandra Knoll das Unerklärliche, das Glücksgefühl eines Moments beim Weingenießen zu beschreiben. „Wein ist kein Beiprogramm“, hakt Ehemann Ludwig ein.

„Auf einen Wein muss man sich konzentrieren, damit er inspirieren kann“. Das Genießen ist für den Winzer die wichtigste Zeit. Wenn man sich dabei keine Zeit lässt, war alles andere vorher umsonst.

Daher haben es sich Sandra und Ludwig Knoll bei all ihren Bemühungen um den Ausbau von besonderen Weinen mit Charakter zur Aufgabe gemacht, das bewusste Genießen der Weinliebhaber zu forcieren.

Meine Frage, ob es „zeitlose“ Weine gäbe, verneint Ludwig Knoll vehement. „Das wären ja uniforme Weine, die für jede Gelegenheit passen. Weine sind Individuen“.

Da gibt es die jungen spritzigen, die zur eine Party passen – lebendig und dynamisch. Und dann gibt es die soliden Basisweine für den Alltag, harmonisch aber nicht spektakulär und dann kommt die Liga der Großen Gewächse und Alten Reben, denen man gefühlt alle Zeit der Welt zum Wachsen und Gedeihen gegeben hat.

Bei ihnen spürt man die Reife, die Inspiration, die Leidenschaft – eben die ganze Seele der Weinpersönlichkeit.

„Beim Genießen ist es wichtig, sich die Frage zu stellen: Was macht der Wein mit Körper, Geist und Seele?“, sagt Ludwig Knoll. Und für die Beantwortung der Frage braucht es nicht nur mehr als ein Glas, sondern vor allem eins: Zeit.

Die Zeit nämlich, die nötig ist, um sich voll und ganz auf eine Sache einzulassen, in diesem Fall den Wein. Und so schließt sich der Kreis.

Auch, wenn Sri Lanka mehr Tee als Wein anbaut, um Genießen geht es auch hier und die Lebenseinstel- lung von dort sollten wir uns unbedingt abschauen: Eine Sache nach der anderen tun und immer ganz im Hier und Jetzt sein.

Das Interview mit Sandra und Ludwig Knoll vom Weingut am Stein führte Leporello-Chefredakteurin Susanna Khoury

Bildnachweis: Norbert Schmelz Fotodesign

Anzeigen