Leporello spricht mit Dr. Peter Bofinger, Wirtschaftweiser und Professor für VWL an der Uni Würzburg

von Susanna Khoury (erschienen in Ausgabe 9/2015)

„Zeit ist ungleich verteilt. Die Einen haben so viel Zeit, das sie davon erschlagen werden und nicht wissen, was sie damit anfangen sollen. Für die Anderen ist es das knappste Gut überhaupt“, resümiert Dr. Peter Bofinger, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Uni Würzburg.

Eine Umverteilung sei hier aber nicht die adäquate Lösung. Er gehöre ja auch zu denen, die nie „Zeit“ hätten. Er habe das Problem durch „Strukturgebung“ gelöst.

Strukturen seien ganz wichtig, um dem gefühlt sich überschlagenden Fluss der Zeit Auszeiten entgegen zu setzen. Sonntags, beispielsweise, mache er prinzipiell frei und gehe wandern.

Auch das Frühstück sei ein festes Ritual, das er sich nicht nehmen lasse, so das gefragte Mitglied des Sachverständigenrates für Wirtschaft der Bundesregierung, Dr. Bofinger.

Zeitfresser und Zeitgeber

Auf meine Frage, ob er denn beim Wandern in der Rhön wirklich nicht erreichbar sei, gab er zu, dass er sein Handy eigentlich nie aus habe: „Wenn Krise ist und ein Journalist mich beim Wandern anruft und einen O-Ton zur aktuellen Lage haben möchte, dann gebe ich den natürlich - auch in meiner Freizeit!“

Seit elf Jahren ist Dr. Peter Bofinger Wirtschaftsweiser und somit dienstältestes Mitglied des Sachverständigenrates.

Diese Tätigkeit sei schon ein immenser Zeitfresser. In den Herbstmonaten bis zur Erstellung des Jahresgutachtens treffe man sich manchmal vier Mal die Woche - Fahrten nach Berlin oder ergänzende Workshops nicht miteingerechnet.

Auch die Medien-Interviews, gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, nähmen viel Zeit in Anspruch, so der 60-Jährige. Dann gäbe es noch Sondergutachten zu bestimmten Themen, die man auch diskutieren und realisieren müsse.

Als Professor für Volkswirtschaftslehre hat er eigentlich in den Semesterferien von Mitte Juli bis Mitte Oktober frei.

Durch die Tätigkeit im Sachverständigenrat für Wirtschaft der Bundesregierung sei die „Lücke“ jedoch ziemlich geschlossen.

Zeit für eine „ Bildungspolitik der S-Klasse“

Auf meine Frage, ob er das Gefühl habe, als Wirtschaftsweiser die Geschicke der Welt maßgeblich mitbestimmen zu können, antwortet er: „Ich weiß es nicht!“ Was man auf jeden Fall nicht unterschätzen dürfe, sei die Tragweite öffentlich geäußerter Worte in den Medien.

Er habe gelernt, Interviews nicht mehr zwischen Tür und Angel zu geben, auch wenn die Zeit knapp sei.

Sein Vorschlag, das Bargeld in Deutschland abzuschaffen, was in einem Interview zu einem ganz anderen Thema nur eine Randbemerkung war, hatte für riesigen Wirbel gesorgt.

Motiviert zu dieser Bemerkung hatte ihn sein Besuch in Washington D.C., als er sah, dass bei Starbucks alle mit ihrem Handy bezahlten: „Ich kam mir wie der letzte Provinzler vor als ich meine Münzen rauskramte...!“

Aber man müsse auch respektieren, dass Deutschland anscheinend an seinem Bargeld hänge und hier die Zeit noch nicht reif dafür sei. Wofür die Zeit aber seiner Ansicht nach überreif ist, sei eine „Bildungspolitik der S-Klasse“, im Gegensatz zu einer der „A-Klasse“.

Bei seinem Auto lege man doch auf bestmögliche Ausstattung Wert, warum nicht bei der Bildung seiner Kinder?

Angefangen von der frühkindlichen Erziehung (genügend Kindergrippen, so dass Frauen, die zurück in den Beruf wollten, das auch realisieren können), über Kindergärtner mit flexiblen Öffnungszeiten und Schulen und Universitäten, die auch eine „Schulen fürs wirkliche Leben“ seien.

Peter Bofinger glaubt, das wäre auch finanziell machbar für ein Land wie Deutschland, man müsse es nur einmal angehen.

„Langfristig gesehen wäre der volkswirtschaftliche Ertrag aus der Umsetzung riesig und zudem ein Beitrag für mehr soziale Gerechtigkeit in Deutschland“, so der habilitierte Wirtschaftswissenschaftler.

Zeitnahe Intervention

Volkswirtschaft ist ein weites Feld, das man als Laie oftmals nicht wirklich überblickt, obwohl es laut Professor Bofinger eigentlich ziemlich einfach sei.

Wie der menschliche Körper sei auch die Volkswirtschaft in der Regel ein sich selbst stabilisierendes System, das mit kleineren Malessen und auch mal mit einer schwereren Infektion gut zurechtkomme.

Lediglich, wenn Atemstillstand oder ein Herzinfarkt drohe, sollte der Notarzt oder der Volkswirt beim System „Wirtschaft“ eingreifen, so dass die Situation nicht eskaliere und existenzgefährdend würde.

Wenn man allerdings jahrelang Raubbau an der Gesundheit des Systems betreibe, wie in Griechenland geschehen, dann räche sich das irgendwann.

Als 2008/2009 der Patient „Deutsche Wirtschaft“ wegen der Bankenkrise bereits auf „Intensiv“ lag, konnte man durch schnelle Rettungsmaßnahmen (innerhalb einer Woche) den Kreislaufzusammenbruch abwenden.

„Das war eine Akut-Situation, die keine Zeit mehr für Experimente ließ“, betont der Befürworter zeitnaher Intervention.

„Zwischen zeitnah und Jetzt“ lautete einmal eine Überschrift in unserer Zeitserie. Hier ging es darum, dass wir beim Postulat des „Zeitnahen“ (asap.: „as soon as possible“) vergessen, das Leben im Jetzt und Hier Wert zu schätzen und vor allem zu leben.

Eine Tatsache, der sich auch Peter Bofinger, trotz guten Zeitmanagements und Strukturen in seinem persönlichen Zeitstrom, nicht ganz entziehen kann: „Wenn man jung ist, ist Zeit eine riesige Truhe mit Goldstücken, die niemals leer zu werden scheint. Dann schaut man 30 Jahre später nochmal rein und stellt fest, die Truhe hat sich schon geleert.

Und mit 60+ realisiert man dann, die Truhe hat sogar einen Boden. Man begreift plötzlich das Unvorstellbare: Die Zeit ist endlich!“

Das Interview mit Dr. Peter Bofinger, Mitglied des Sachverständigenrates für Wirtschaft der Bundesregierung und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg, führte Leporello-Chefredakteurin Susanna Khoury.

Bildnachweis: Norbert Schmelz Fotodesign

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