Bäckermeister Ernst Köhler aus Würzburg über seine Motivation, reine Bio-Backwaren herzustellen und die Zeit, die er dafür benötigt

von Susanna Khoury (erschienen in Ausgabe 11/2014)

Bäckermeister Ernst Köhler nimmt sich viel Zeit für die Produktentwicklung seiner Bio-Backwaren.

Probiert unterschiedliche Rezepturen, Getreidearten und Mischungsverhältnisse aus und dennoch, so sagt er, habe er trotz aller Bemühungen bisher kein wirkliches Rezept, wie man Zeit „haltbar mache“ oder gar generiere.

Wie die meisten von uns... !

„1986, als er anfing mit zwei Mitarbeitern, ja, da hatte er noch Zeit!“, erzählt der studierte Sozialpädagoge und Bäckermeister.

Heute, 80 Mitarbeiter später, mit vier eigenen Filialen in Würzburg und als Zulieferer für täglich 60 Bioläden, Hotels und Supermärkte in Franken, bleibt ihm nur wenig Zeit für Familie und Freunde oder fürs Mountainbikefahren, das er als Ausgleich für eine 60-Stunden- Woche dringend benötigt, wie er betont.

Um sich solche Auszeiten, die vor dem Ausbrennen schützen, leisten zu können, hat Ernst Köhler vor zwei Jahren beschlossen, Geld in Personalentwicklung zu stecken und seine Mitarbeiter zu schulen.

Mit Hilfe einer Personal Coacherin wurden die Führungskräfte in diversen Trainings geschult. „Seit nicht mehr alles auf meinen Schultern ruht“, so Köhler, „habe ich wieder mehr Zeit, mich um mein Kerngeschäft zu kümmern.“

Bei „Bio“ müsse man ständig am Ball bleiben, immer am Puls der Zeit sein, sich mit seinen Mitarbeitern und Kollegen beraten, um das Beste, Schmackhafteste und Gesündestes für den Kunden gebacken zu bekommen.

Konkret heißt das im Fall der Vollkornbäckerei Köhler ursprünglich (ohne technische Enzyme) in der Verarbeitung, mit Zutaten von regionalen Zulieferern gefertigt, mit einer guten Ökobilanz, Transparenz in der Kennzeichnung, fairer Handel mit den Bauern und das Endprodukt in hoher Qualität.

Von „Bio“- Produkten, die es heute im jedem Discounter gibt, will sich die Bio- Bäckerei Köhler als Bioland-zertifizierter Betrieb absetzen. Echtes „Bio“ braucht Zeit: „Wir mahlen jeden Tag aus den verschiedenen Getreiden (über 200 Tonnen Getreide wie Dinkel, Roggen und Weizen im Jahr) unsere Mehle.

Setzen jeden Tag einen 3-Stufen-Sauerteig an, der 24 Stunden gehen muss, um reif und bekömmlich zu sein, backen alle Waren inklusive Kuchen und Torten ohne „Maria-Hilf-Mittelchen“ (technische Enzyme), aus frischen Zutaten, mit belebtem Wasser und ohne Chemie“, erzählt das Mitglied im Verein „Die Bäcker.

Zeit für Geschmack e.V.“ Die Zeit ist jetzt reif für „Bio“.

Vor allem die jungen Leute wollen wissen, wo die Zutaten herkommen, wie sich die Kette von der Saat bis zum Regal zusammensetzt.

Das spielt dem zeitaufwändigen Konzept des Gastro-Betriebes „Köhlers“, (seit 2011) auf der Alten Mainbrücke in Würzburg, in die Hände.

Wenn sich das Bewusstsein der Menschen hin zu hochwertigen, sicheren und gesunden Lebensmitteln in den letzten zehn Jahren nicht verändert hätte, könnte Ernst Köhler niemals bestehen.

Denn Qualität hat halt ihren Preis. „In einem Land wie Deutschland, das die billigsten Preise für Lebensmittel in Europa hält, braucht es Durchhaltevermögen, um zu überzeugen“, so Köhler.

Höhen und Tiefen hat die Bio-Bäckerei schon erlebt. Aller Anfang ist schwer – „1986 wurde ich als „Spinner“ abgetan, danach geriet „Bio“ in Verruf, galt als zweifelhaft.

Heute ist „Bio“ in den Köpfen angekommen, aus unser aller Leben in Deutschland nicht mehr wegzudenken“, betont der Unternehmer.

Nicht zuletzt wegen der andauernden Lebensmittelskandale (EHEC, Gammelfleisch, Listerien in Käse und Wurst oder Dioxin in Eiern) hat ein Umdenken in der Bevölkerung stattgefunden. Die Wertschätzung gegenüber dem, was man is(s)t, ist immens gestiegen.

Der Kauf von glutenfreien Lebensmitteln ist in Deutschland seit 2012 um fast 20 Prozent gestiegen, obwohl nur rund 0,1 bis ein Prozent der Deutschen eine nachgewiesene Gluten-Unverträglichkeit haben. Hier treibt die Angst und Verunsicherung manchmal auch seltsame Blüten.

Nicht Gluten, Fleisch, Eier, Gemüse oder Früchte an sich sind schlecht, sondern sie sind schlecht in schlechter Qualität, Aufzucht oder Verarbeitung. Unbenommen sind sie schlecht für Menschen mit ausgewiesenen Lebensmittelallergien oder Unverträglichkeiten.

Man muss kurz mal innehalten und überlegen... warum vertragen wir unsere Nahrung nicht mehr?

Ernst Köhler hat eine ganz eigene, wie er sagt, wissenschaftlich nicht nachgewiesene Theorie, warum Nahrungsmittel-Allergien so auf dem Vormarsch sind: „Ich glaube, dass viele Nahrungsmittelallergien auf die häufig enthaltenen technischen Enzyme in den Lebensmitteln zurückzuführen sind.

Diese sind nicht zulassungspflichtig oder deklarierungspflichtig und im Gebackenen nicht mehr nachweisbar!“ Die Enzyme unterstützen die Hefegärung und verbessern Volumen, Krustenbildung und Geschmack des Brotes und sparen vor allem eins, Zeit in der Produktion.

Die Vollkorn-Bäckerei Köhler verzichtet vollständig auf solche Hilfsmittel, das kostet Zeit, aber nicht die Überzeugung.

Eigentlich wird bei Bio-Bäcker Köhler wie zur Zeit unserer Großeltern gewerkelt. Echte Handarbeit mit echten Zutaten. Die Rückbesinnung auf das, was echt und somit authentisch ist, hat hier seit 28 Jahren Tradition.

Erdbeerkuchen gibt es nur im Juni/Juli, Zwetschgenplootz im September/Oktober und Kürbisbrot mit frischem Hokkaido nur im Oktober/November.

Old School (alte Schule) ist „in“, vielleicht weil früher doch alles besser war?

Für unsere Lebensmittel trifft das auf jeden Fall zu, weil sie naturbelassener waren, nicht auf alle möglichen und unmöglichen Arten verändert und „verfeinert“.

Neben Dinkel, Roggen, Amaranth oder Quinoa verbackt Ernst Köhler auch Emmer, eine ganz alte Getreidesorte, die hier in der Region angebaut wird und die, wie es aussieht eine Renaissance erfährt.

Köhler verwendet Emmer für verschiedene Brote, aber auch für Feingebäck wie Kuchen. Das Emmer-Brot wurde bei der letzten Bioland-Brotprüfung mit einer Goldmedaille prämiert.

Apropos Zeit – seine letzte große Auszeit (drei Wochen) verbrachte Ernst Köhler in Bhutan, einem Land, das Glück in der Verfassung verankert hat.

Nicht Wirtschaftswachstum ist in Bhutan das Kriterium politischen Handelns, sondern die Idee des Bruttonationalglücks.

Diese besagt, dass eine ausgewogene und nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft nur im Zusammenspiel von materiellen, kulturellen und spirituellen Schritten geschehen kann, die einander ergänzen und bestärken.

Dazu gehören, so die Verfassung von Bhutan, die Förderung einer sozial gerechten Gesellschafts- und Wirtschaftsentwicklung, Bewahrung und Förderung kultureller Werte, Schutz der Umwelt und gute Regierungs- und Verwaltungsstrukturen.

In diesem Sinne bleiben wir alle, außerhalb von Bhutan, selbst unseres Glückes Schmied.

Allerdings sollten wir uns womöglich ab und an ein wenig Zeit nehmen. Zeit zu überlegen, welchen Kriterien wir für unser Handeln Priorität einräumen.

Und auch die Zeit, zu überlegen, welche Lebensmittel uns gut tun und welche nicht!

Bildnachweis: Norbert Schmelz Fotodesign

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