Ein Gespräch mit Joachim Zorn, Obermeister der Uhrmacherinnung von Unterfranken, über die Vergänglichkeit von Zeit...

von Susanna Khoury (erschienen in Ausgabe 07/2014)

Joachim Zorn, Obermeister der Uhrmacherinnung von Unterfranken

Zeit ist messbar! In der Physik ist „Zeit“ (t von lateinisch tempus) eine Größe, die die Abfolge von Ereignissen definiert.

Im Gegensatz zu anderen physikalischen Größen nimmt sie eine Ausnahmestellung ein, sie funktioniert nur in eine Richtung, ist also nicht umkehrbar. Und auch das Messen ist relativ.

Im 13. Jahrhundert konnte es durch die damaligen Schätzeisen bei der Zeitmessung zu einer halben Stunde Ungenauigkeit pro Tag kommen, und selbst heute in unserer digitalen Hochpräzisionswelt gibt es noch eine Schaltsekunde Abweichung im Jahr.

In unserem Spezial „Zeit“ haben wir uns dieses Mal mit dem Obermeister der Uhrmacherinnung von Unterfranken, Joachim Zorn, unterhalten.

Aus erster Hand wollten wir wissen, wie Zeit „gemacht“ oder ob der Uhrmacher sie womöglich anhalten kann?

„Das wäre schön“, sagt Joachim Zorn. „Aber leider habe auch ich keine Sekunde mehr zur Verfügung als Menschen in anderen Berufen“.

Im Gegenteil sein Beruf koste sehr viel Zeit, da eine Uhr nicht eben mal schnell repariert sei.

Für eine Armbanduhr benötigt er beispielsweise drei bis vier Stunden Reparaturzeit, für Standuhren oder historische Einzelstücke teilweise mehr. Apropos Historie – über alte Uhren ist der 53-jährige zu dem Beruf gekommen, den er mit Leidenschaft sechs Tage die Woche lebt.

Und selbst in seiner spärlich bemessenen Freizeit beschäftigt er sich mit der Geschichte der Zeitmessung oder neuesten Forschungsberichten dazu. Joachim Zorn investiert viel Zeit in die „Zeit“. Er hat die „Zeit“ zu seiner Berufung gemacht.

Daher ist es nicht verwunderlich, dass eine Uhr für ihn mehr als ein technisches Gerät ist. „Uhren sind Zeitzeugen, gerade die historischen Stücke“, so Zorn. „Man dreht in der Arbeit mit alten Uhren die „Zeit“ zurück, überbrückt Zeiten und nähert sich irgendwann wieder der Gegenwart an“.

Alte Uhren habe Geschichte und erzählen Geschichten – durch ihre Gangart, ihr Erscheinungsbild und ihre Präzision. Sie spiegeln ihre Zeit und bei Taschen- , Pulsoder Armbanduhren auch ihre Träger wider.

Der Vorsitzende des Fachausschusses "Wirtschaft und Technik" im Zentralverband für Uhren, Schmuck und Zeitmesstechnik Zorn hat daher auch 40 verschiedene Armbanduhren, die er je nach Anlass und Stimmung trägt.

Für ihn ist eine Uhr nicht nur eine Uhr, sondern Ausdruck seiner Persönlichkeit. Seine Favoriten sind allesamt mechanisch. Besonders gut gefällt ihm die „Einzeiger- Uhr“, ein hochmodernes Präzisionsuhrwerk, das nur noch Stunden anzeigt, Minuten oder Sekundenzeiger gibt es nicht.

Der Hersteller will damit dem Überdrehen unserer High-Speed-Gesellschaft entgegenwirken und eine Möglichkeit der Entschleunigung am Handgelenk anbieten. Und die Idee wird angenommen.

Nicht unerhebliche Stückzahlen der Uhr die nur die Stunden misst, hat Joachim Zorn bereits in seinem Geschäft am Dominikanerplatz in Würzburg verkauft.

Der Poesiealbumspruch „Mach es wie die Sonnenuhr, zähl´ die heiteren Stunden nur“ bekommt dadurch eine ganz neue Dimension. Weniger ist mehr, wie so oft und doch ist weniger oft so schwer.

Obwohl der Uhrmachermeister sich durch seinen Beruf vorwiegend in der von Menschen gemachten, „künstlichen Zeit“, bewegt, tickt seine innere Uhr anders.

„Manchmal vergeht die Zeit wie im Flug und Stunden kommen einem wie Sekunden vor, und umgekehrt empfinden wir Sekunden bisweilen wie Stunden“, sinniert Zorn.

In seiner Selbstständigkeit muss er mit der Zeit gehen, wo die Zeiger der Uhr ihn von Termin zu Termin und von Kunde zu Kunde hetzen.

Privat hat Joachim Zorn eine etwas philosophischere Sicht auf das Phänomen „Zeit“: „Zeit ist etwas Vergängliches, wir wissen nicht wo sie anfängt und wo sie aufhört, sie hat vor uns existiert und wird nach uns existieren und vielleicht gibt es sie ja auch gar nicht?“

Als Dozent der Bayerischen Meisterschule für Uhrmacher erklärt er den angehenden Uhrmachermeistern gerne, dass ihre Profession auf einem Weltbild des 16. Jahrhunderts fußt.

Hier wurde der Kosmos und alles von Gott Geschaffene pars pro toto mit einem gut geölten Uhrwerk gleichgesetzt, bei dem ein Rädchen ins andere greift, alles verzahnt ist und so das „göttliche Getriebe“ am Laufen hält.

Wenn man bedenkt, dass ein Rädchen einer Uhr im Durchschnitt drei bis vier Millimeter groß ist und noch 80 Zähne hat, kann man sich vorstellen, was es heißt, ein kaputtes Uhrwerk zum Laufen zu bringen. Und auch der Ausspruch: „Das läuft ja wie ein Uhrwerk!“ bekommt vor diesen Ausführungen eine neue Bedeutung.

Neben der Theorie, bringt Joachim Zorn seinen Schülern und Auszubildenden auch die Praxis von der Pike auf bei. Das heißt, sie könnten, wenn sie ausgelernt haben, selbst eine Uhr bauen, auch wenn das heute wirtschaftlich nicht mehr rentabel ist (rund 1000 Stunden setzt man für einen industriell gefertigten Chronometer im Luxussegment derzeit an).

In der Ausbildung zum Uhrmacher stellt man schnell fest, dass alle Uhren anders gehen, obwohl sie doch die gleiche Zeit anzeigen.

Vieles kann man lernen, aber einige Eigenschaften sollte man mitbringen, dass man sich in der Komplexität der ineinander greifenden Zahnräder nicht verliert.

„Neben der innerlichen Ruhe und Geduld, die man im Umgang mit Uhren hauptsächlich braucht, sind es Eigenschaften wie Kombinationsgabe, Sensibilität, Konzentriertheit und handwerkliches Geschick, die ein Anwärter auf den Beruf haben sollte“, erläutert Zorn. Im Laufe der „Zeit“-Geschichte hat sich in Sachen Zeitmessung viel getan. Heute gehen die Uhren wirklich anders... !

Mit dem Aufkommen der Funkuhr in den 1970er Jahren hat die Elektronik Einzug in das Berufsbild gehalten und seitdem tickt der Stand anders - vielleicht, weil das Ticken der Uhr durch den Wunsch nach absoluter Präzision eliminiert wurde. Jetzt im 21. Jahrhundert gibt es die „Einzeiger- Uhr“ und die Menschen wollen ihr Ticken zurück.

„Mechanische Uhren haben Hochkonjunktur. Die Verkaufszahlen waren so hoch wie schon lange nicht mehr.

Gerne nimmt man dafür eine wenig Ungenauigkeit in Kauf“, dokumentiert Joachim Zorn das Kundenverhalten 2014.

Diese Tendenz zur Entschleunigung spiegelt die Worte des deutschen Lyrikers und Georg- Büchner-Preis-Trägers Günter Eich wider, der forderte: „Seid Sand, nicht Öl im Getriebe der Zeit!“

Bildnachweis: Norbert Schmelz Fotodesign

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