Bertel Bühring, ehemaliger Programmchef von Radio Gong in Würzburg erzählt von seiner Auszeit der anderen Art

von Susanna Khoury (erschienen in Ausgabe 06/2014)

Bei unserem Spezial „ Zeit“ geht es diesmal um ein Aussteigen auf Zeit.

Bertel Bühring, früherer Programmchef von Radio Gong, hat mit 50 beschlossen, aus dem Hamsterrad auszusteigen und seinem bisherigem Leben den Rücken zu kehren.

Er kaufte sich kurzerhand ein Boot und schippert seitdem über die Weltmeere.

Er freut sich an fremden Kulturen und lebt ein Leben von dem er immer geträumt hat. Wenn man seine Logbucheinträge via Internet verfolgt, ist das auch geglückt, aber ich wollte das genau wissen...

Leporello (L): Wie schaut es gerade mit deiner „Zeit“ aus?
Bertel Büring (BB): Zeit spielt hier keine Rolle. Um ganz ehrlich zu sein, fällt es mir oft schwer, mich an den gemächlichen Trott der Südsee zu gewöhnen. Zu stark ist man doch durch sein Deutsches Termindenken geprägt. Aber ich lerne.

L: Wie war das früher (noch bei Gong) und warum hast Du Dich entschlossen, mit 50 eine „Auszeit“ zu nehmen?
BB: Da war das Leben in ein festes Zeitkorsett gezwängt, so wie bei jeder anderen Arbeit auch. Dass ich mich zu diesem Abenteuer entschlossen habe, war die Realisierung eines Traumes, den ich schon viele Jahre hatte.

L: Wie wichtig war/ist das für dich?
BB: Man stellt immer wieder fest, dass sich Prioritäten ändern. Das Leben ist flexibel und somit verändern sich auch ständig die Dinge, die wichtig sind.

L: Welche Bedeutung hat Zeit auf einem Boot?
BB: Keine! Zeit ist eine Erfindung von uns Menschen. Auf einem Schiff, welches nicht nach einem Terminkalender fährt, richtet man sich meist nach den Elementen und der Natur.

L: Welche Erfahrungen hast Du mit den Menschen auf anderen Kontinenten gemacht, wie verstehen die die Zeit?
BB: Ganz anders als wir! Und das kann manchmal schon ganz schön an den Nerven zerren. Wenn man irgendetwas am Schiff in einem gewissen Zeitrahmen reparieren lassen muss. Wenn aus zwei Tagen zwei Wochen werden, dann geht das noch. Aber wenn dann plötzlich vier oder acht Wochen daraus werden, dann nervt das mein in Resten erhaltenes mitteleuropäisches Zeitempfinden. Aber wie gesagt: Ich versuche zu lernen.

L: Sechs Jahre bist Du weg, was macht das mit einem?
BB: Ich bin jetzt im siebten Jahr unterwegs und ich war immer ein positiver, zufriedener Mensch ... jetzt bin ich noch zufriedener und habe gelernt, viele Dinge realistischer zu sehen. Ich habe versucht, die Eindrücke, die wir auf der Reise gesammelt haben, auf meinem Internet-Logbuch wiederzugeben (www.odinsailing.de).

L: Kannst Du Dir vorstellen, wieder fest an einem Ort zu sein? Da weitermachen, wo Du vor Jahren aufgehört hast?
BB: Im Moment nicht. Als ich 2007 aufbrach, wollte ich in sechs Jahren die Welt umsegelt haben, bis ich feststellte, ich bin viel zu schnell, um alles richtig zu verstehen.

L: Hast Du Pläne für dein Leben nach dem Weltenbummler-Dasein?
BB: Nein.

L: Wofür nimmst Du Dir jetzt ganz bewusst Zeit?
BB: Zum Leben.

L: Gibt es auch Zeitdruck in deiner Welt und wie schaut der aus?
BB: Die Natur bestimmt den Lauf der Dinge. Syogenannter Zeitdruck ist immer Monate vorher planbar. Es ist bekannt, wann die Hurrikan oder Zyklon- Zeiten sind, also genug Zeit in sichere Gegenden zu segeln oder geschützte Buchten zu suchen. Zeitdruck entsteht nur dann, wenn der Faktor Mensch ins Spiel kommt.

L: Würdest Du alles genauso wieder machen? Welche Tipps kannst Du Menschen geben, die eine Auszeit nehmen wollen?
BB: Ich habe keinen Tag bereut meinen Traum zu leben und was ich anderen empfehlen kann, ist der Slogan von Nike: Just do it!

L: Größter Verursacher für Zeitdruck in unserer Gesellschaft ist die Jagd nach Macht und Geld. Aber ganz ohne kommst Du sicher auch nicht aus, zumindest nicht ohne Geld. Wie kann man sich eine so lange Auszeit leisten?
BB: Es ist immer das gleiche Lied! Mit Geld. Vorher: Arbeiten, sparen, sparen, sparen. Etwas Glück an der Börse gehört natürlich auch dazu.

L: Radio war ja ein extrem schnelles Geschäft, jetzt lebst Du das Gegenteil. Vermisst Du manchmal auch das Schnelle, den Zeitdruck?
BB: Es war ein wundervoller Job, der mich erfüllte. Aber nach 20 Jahren war es Zeit etwas anderes zu tun, was mich glücklich macht. Und das war die Realisierung meines Traumes mit dem eigenen Schiff die Welt zu umsegeln...und zwar so langsam wie möglich.

L: Deine Berichte hören sich immer nach dem Leben im Paradies an. Es gibt sicher eine Kehrseite der Medaille, nur „schön“ wäre auch langweilig. Welchen Preis zahlst Du persönlich für die Verwirklichung deines Traumes? Auf was verzichtest du, fällt es Dir leicht, was vermisst du…?
BB: Wenn ich beispielsweise im Casino beim Roulette ein kleines Vermögen gewinne, habe ich vorher einen gewissen Beitrag investiert, auf den ich in diesem Moment verzichten musste. Man muss immer geben, um etwas zu bekommen. So gibt es auch in meinem Leben Dinge, auf die ich verzichte, die ich geben muss, um dieses Leben führen zu dürfen. Ich verzichte auf den Luxus von Kino oder Theaterbesuchen, es gibt keine Bars oder Discos, durch die ich mit Freunden ziehen kann. Ich liebe die Deutsche Küche, die gibts hier genauso wenig wie Leberwurst oder deutsches Brot. Mit anderen Worten, im Moment investiere ich Leberwurst in absolute Freiheit... guter Tausch!

L: Könntest Du Dir vorstellen, immer unterwegs zu sein? Will man denn auch nicht irgendwann ankommen?
BB: Ich sage immer wieder zu meiner Lebensgefährtin: Lass uns in Ruhe und mit viel Zeit die ganze Welt anschaun, damit wir wissen, wo das Paradies ist. Dorthin können wir dann eines Tages zurückkehren.

L: Welche Erfahrungen hast Du mit dem Thema „Zeit“ unterwegs gemacht?
BB: Es war ganz am Anfang der Reise. Mein Vater lebte noch und war zu Gast an Bord. Er wollte mir den Sinn des Lebens erklären und zog ein Maßband von 100 Zentimeter aus der Tasche und sagte zu mir. "Junge, das ist deine Lebenszeit, jeder cm ist ein Jahr. Natürlich wirst Du wohl keine 100, aber das Durchschnittsalter liegt bei 75 Jahren, also schneiden wir von dem Maßband 25cm ab." Er nahm die Schere und präsentierte mir das verkürzte Band. "So!" sagte er, "jetzt bist Du 50 Jahre und damit schneiden wir vorne auch noch 50 cm ab." Dann präsentiere er mir die traurigen 25 Zentimeter Rest von den einstmals stolzen 100 Zentimeter. "So, das ist die Restzeit, die Dir von deinem Leben noch bleibt, mach das Richtige daraus!" Wenige Monate später starb er, aber diese plastische Zeiterklärung war die beste, die ich je hörte.

L: Was waren die stürmischsten Zeiten deiner Reise, welche die ruhigsten?
BB: Ein Hurrikan 2009 vor Gibraltar, ein schlimmer Zyklon 2012 auf Fiji, der Mord an meinem Freund Steffan 2011 auf den Marquesas. Diese drei Punkte waren wohl das Negativste der Reise, Dinge auf die ich gerne verzichtet hätte. Alle anderen "stürmischen Erlebnisse werden dagegen zu unwichtig, um erwähnt zu werden. Eigentlich zählen auch der Hurrikan und der Zyklon nicht, denn die gingen ja glimpflich aus. Gegen den Mord an Steffan wird alles andere Negative zu Pipifax. Der Rest war ruhig und positiv.

L: Was ist für Dich ein sicherer Hafen (im übertragenen Sinn)?
BB: Innere Ruhe, eine positive Weltanschauung und einen Partner, auf den man sich verlassen kann.

Das Interview mit dem früheren Programmchef von Radio Gong und jetzigen Weltenbummler Bertel Bühring führte Leporello-Chefredakteurin Susanna Khoury.

Bildnachweis: Privat

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