Leporello im Gespräch mit Würzburgs neuem Kulturreferenten Achim Könneke über Kunst, Kultur und „Wahrheiten“

von Susanna Khoury (erschienen in Ausgabe 11/2018)

Tradition sei nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe der Flamme, schließt sich Achim Könneke, Würzburgs neuer Kulturreferent, dem Humanisten Thomas Morus an.„Und sie dreht sich doch!“ Der Überlieferung nach soll Galileo ­Galilei diesen Satz beim Verlassen des Inquisitionsgerichts gemurmelt haben, nachdem er zu lebenslangem Hausarrest verurteilt worden war.

Der Mathematiker und Astronom behauptete, dass die Erde eine Kugel und keine Scheibe sei und bestätigte damit das kopernikanische Weltbild und nicht das der Kirche.

Achim Könneke (55), Würzburgs neuer Kulturreferent, hält es mit Galilei und meint, dass relevante Kunst vor allem Gewissheiten und Wahrheiten in Frage stellen müsse.

Der ehemalige Freiburger Kulturamtsleiter betont, dass es im sogenannten postfaktischen Zeitalter, in dem Emotionen und Ideologien vor Fakten rangieren, mehr denn je schwer sei, Wahrheit zu definieren. Was gestern noch wahr war, ist heute schon Lüge, und umgekehrt.

Kunst spiegle momentane „Wahrheiten“, entwerfe vor allem Fiktionen, die später Wahrheit werden, wie man am Beispiel der Erfindung künstlicher Intelligenz und Robotik durch Literatur und Film sehen kann.

Im Grunde sei das Verhältnis von Kunst und Wahrheit heute aber kein zentrales.

„Kunst ist die Lüge, die die Wahrheit begreifbar macht“, zitiert Achim Könneke, der in Hamburg das Referat Bildende Kunst und Design leitete, Pablo Picasso. Es sei aber immer eine „positive“ Lüge, wenn Kunst „schwindle“. Mehr eine Utopie, eine Projektion, ein Versprechen, das erst in der Zukunft oder im Kopf des Betrachters eingelöst werde.

Nach dem Motto „Realität entsteht im Kopf“ hat jeder Rezipient eine andere Wahrnehmung von Kunst und so auch immer eine andere Wahrheit. Hier möchte Könneke im Sinne Umberto Ecos verstanden werden, der den Betrachter eines Kunstwerkes als dessen Vollender sieht.

Es sei gar nicht so relevant, welche Wahrheit der Künstler mit seiner Kunst darstellen oder vermitteln wolle. Wichtiger sei die Wahrheit, die der Betrachter durch das Kunstwerk für sich entwickeln könne, meint der Vater von vier Kindern.

So könne Kunst Trost, Vision und Traumwelt sein oder um Friedrich Nietzsche mit ins Boot zu holen: „Wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zugrunde gehen!“

Zentrale Aufgabe der Kunst sei, so Könneke, Welt(en) zu erfinden, um zu zeigen, dass das, was nicht ist, ebenso gut sein könnte. Kunst schaffe Möglichkeitsräume. „Kunst ist kein Reparaturbetrieb und liefert keine Lösungen für die Probleme der Welt. Aber sie kann Bewusstsein und Haltungen verändern, Horizonte erweitern, so dass ich mich anders positioniere und dadurch vielleicht auch anders handle!“

In diesem Sinne könne Kunst die Welt durchaus verändern, wenn man an sie glaube. Dafür müsse Kunst querdenken, gegen den Strich bürsten, Erwartungen unterlaufen, um Neues fühl- und erfahrbar zu machen, so Könneke.

Ob das dann die wahre Kunst sei, ist für ihn allerdings eine offene, respektive keine, Frage. Allgegenwärtige Wahrheit sei in unserer umfassend ökonomisierten und banalisierten Gegenwart doch vor allem die Ware Kunst.

Wichtig sei, Kunst und Kultur zu unterscheiden: Kunst sei immer individuelle Setzung, Kultur dagegen kollektive Spannung. Der alte und immer schon fragwürdige Begriff der „Hochkultur“ sei genau betrachtet letztlich nichts als ein ideologischer Machtbegriff. „Sozio­kultur“ in einem Stadtteil sei genauso relevant wie Oper im Mainfranken Theater. Da gäbe es kein hoch oder tief. Ebenso fragwürdig sei, wieviel Mainstream sich heute immer noch als „Off“ oder gar „Sub“-Kultur (miss)verstehe oder mythologisiere.

Der geborene Niedersachse hält diese Kategorien für falsch, entscheidend sei, wahrzunehmen, dass Kultur nie statisch und konservierbar sei, sondern immer etwas Fließendes, sich stetig durch Neues und Fremdes weiterentwickelt. Tradition sei in diesem Sinne nach Thomas Morus nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe der Flamme!

„Was gestern als abseitige Subkultur galt, ist morgen womöglich anerkanntes Kulturerbe. Wir leben heute zudem in extrem ausdifferenzierten, pluralistischen Stadtgesellschaften. Kulturpolitik muss diesen Pluralismus der Kulturen aufgreifen und gestalten, wenn sie relevant sein will!“

Als Kulturreferent verstehe er sich deshalb vor allem als Moderator, Vermittler und Ermöglicher, gern auch von phantastischen Ideen zu Erfahrungs-, Begegnungs- und Möglichkeitsräumen oder -anlässen, über die sich Künste und Stadtkulturen und damit die Stadtgesellschaft weiter entwickeln können. „Kulturpolitik ist Stadtentwicklung“, so Achim Könneke.

Dabei gäbe es immer Zielkonflikte und unterschiedliche Wahrheiten der jeweiligen Akteure, auch im Feld der Kunst und Kultur. Alle spezifischen „Wahrheiten“ hätten aus der jeweiligen Perspektive heraus meist ihre Berechtigung. Diese Art von Wahrheiten seien aber relativ.

In seiner Funktion als Kulturreferent wolle er deshalb vor allem diskursive Auseinandersetzungen fördern.

„Das Recht, selber denken und miteinander für ein besseres Morgen streiten zu dürfen, ist eine zentrale kulturelle Errungenschaft unserer liberalen Demokratie und das höchste Gut unserer offenen Gesellschaft. Kulturpolitik geht es ja um nichts weniger als die Frage, in welcher Stadt und in welcher Gesellschaft wir leben wollen.“

Das sei zugleich die Wahrheit relevanter Kunst und Kultur und schaffe echte Möglichkeitsräume.

Das Interview mit Kulturreferent Achim Könneke führte Leporello-Chefredakteurin Susanna Khoury.

INFO:
Mit 27 von 50 gültigen Stimmen entschied sich der Würzburger Stadtrat im zweiten Wahlgang für Achim Könneke als neuen Kultur- Schul- und Sportreferenten der Stadt. Könneke kommt aus Freiburg nach Würzburg. Dort war er seit 2003 Direktor des städtischen Kulturamts und somit für Kulturverwaltung, Kulturamt, Städtische Galerie und Stadtarchiv zuständig. Nach dem Lehramtsstudium in den Fächern Philosophie, Deutsch und Kunst war Achim Könneke zunächst journalistisch tätig. Ab 1991 übernahm er für verschiedene Stadtverwaltungen Führungspositionen im kulturellen Bereich. Hamburg und Stuttgart waren hierbei die wichtigsten Stationen. red

Bildnachweis: Norbert Schmelz Fotodesign

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