Im Gespräch mit Dr. Josef Schuster über die Wahrheit in der Religion und in der Medizin

von Susanna Khoury (erschienen in Ausgabe 4/2018)

„Es gibt mehr Ding’ im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumt, Horatio“ lässt William Shakespeare Hamlet in der 5. Szene des erstes Aktes des Theaterstückes „Hamlet“ sagen. Wenn das wahr ist, ist das Leporello- Spezial „Was ist Wahrheit?“ ein schwieriges Unterfangen, bei dem man unweigerlich vor allem beim Thema „Religion“ an Grenzen stoßen wird.

Da aber nun einmal die Büchse der Pandora geöffnet ist, heißt es Augen zu und durch. Zum Sujet „Was ist Wahrheit?“ in der Religion, aber auch in der Medizin hat Leporello sich einen kompetenten Gesprächspartner gesucht, der in beiden „Ressorts“ zuhause ist: Dr. Josef Schuster (64), Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland und Internist mit eigener Praxis in Würzburg.

Von ihm wollte Leporello wissen: Kann Religion „Wahrheit“ sein?

„Als Mediziner bin ich auch Naturwissenschaftler und wenn ich von Wahrheit spreche, gehe ich davon aus, dass man etwas tatsächlich belegen kann, nur dann kann es wahr sein! Bei Religion spreche ich vom Glauben und nicht vom Wissen. Ich bin in eine jüdische Familie geboren, meine Eltern, Großeltern, meine Vorfahren sind diesem Glauben verhaftet und ich halte mich an diese Grundsätze“.

Glaube versetzt Berge

„Glauben heißt nichts wissen“, hieß es früher in der Schule und dennoch kann Glaube wahr sein, vielleicht nicht im naturwissenschaftlichen Sinn von „zählen, messen, wiegen“, aber doch für jeden Einzelnen, der sich in seiner Religion wiederfindet und diese lebt.

„Glaube versetzt Berge“, auch das ist wahr, wenn auch wiederum empirisch schwer zu belegen. Und das ist erst der Anfang. Was ist mit Gott, wie wahr ist der?

Auch hier sei das Zünglein an der Waage, die persönliche Sicht der Dinge, so Dr. Josef Schuster: „Ich bin persönlich überzeugt, ob es wahr ist oder nicht..., dass es eine für uns nicht greifbare Struktur gibt! Dass wir nicht mutterseelenallein auf dieser Erde rumtanzen. Jemand, der unseren Lebensweg mitbeeinflusst, eine göttliche Macht, der etwas gewichtigere Mann mit den weißen Haaren, ist wahrscheinlich eher nicht Gott, ... aber da hat jeder Mensch seine eigenen Vorstellungen“.

Da drängt sich schon die nächste Frage auf: Haben alle Religionen eine gemeinsame „Wahrheit“?

„Alle Religionen nicht, aber die monotheistischen. Die gemeinsame Wahrheit lautet: Es gibt nur einen Gott! Das haben Christentum und Judentum die gleiche Wahrheit. Und auch in Bezug auf die zehn Gebote, beziehen sich beide auf das Alte Testament“.

Der einzige Knackpunkt, wo sich die Geister scheiden zwischen den beiden Religionen, sei die Vorstellung von Jesus als Erlöser. Da würden die Juden widersprechen. Der Zentralratsvorsitzende Dr. Schuster zitiert hier den jüdischen Religionsphilosoph Martin Buber: „Wenn Jesus wiederkommt auf die Erde und man ihn fragen würde, warst du schon mal da? Ich würde mich hinter ihn stellen und flüstern, sag nichts!“

Das sage viel über die Wahrheit in der Religion aus. Man könne nicht eindeutig behaupten, dass Religion wahr ist, aber auch nicht, dass sie unwahr ist, so der in Haifa geborene Josef Schuster. Man kann aber eine Brücke bauen, die von einem zum anderen Ufer führt: Es sieht so aus, dass es die eine Wahrheit in Bezug auf Religion nicht gibt, aber vielleicht viele individuelle Wahrheiten jedes einzelnen Gläubigen, die er für wahr hält!?

Wahrheit & Medizin

Die Medizin ist heutzutage oft mehr Religion als die Religion an sich. Leporello befragte den niedergelassenen Arzt der Inneren Medizin nach der Wahrheit in der modernen Medizin, deren Waagschalen gerade mehr Richtung Ökonomie als gen Fürsorge ausschlagen.

„Ökonomie hat sich leider sehr ausgebreitet und den Arztberuf negativ beeinflusst. Das muss ich auch sehr kritisch sagen, was meine Person angeht... Wie ich angefangen habe im niedergelassenen Bereich, habe ich Patienten behandelt, und mir keine Gedanken um das Wirtschaftliche gemacht und es hat immer gepasst sowohl für mich als auch für meine Patienten. Das Pekuniäre hat vor 30 Jahren keine solche Rolle gespielt wie heute. Die Zeiten, wo eine Arztpraxis ein Auskommen auf hohem Niveau sichert, sind lange vorbei. Heute muss man überlegen, welche Leistungen ertragsfähig sind und welche nicht und muss seine Sprechstunde so aufbauen, dass man mehr die Leistungen erbringt, die auch wirtschaftlich sind, das ist leider so“, sagt Dr. Schuster.

Dennoch seien er und auch seine Ärzte- Kollegen dem Hippokratischen Eid verpflichtet und auch, wenn die adäquate Betreuung eines Tumorpatienten nicht wirklich bezahlt werde, gehöre das zum Beruf dazu. Und selbstverständlich mache man das fürsorglich und gucke nicht auf die Gebührenordnung.

Apropos Fürsorge. Wie ist diese mit der Wahrheit, die man dem Patienten über seinen Gesundheitszustand sagt, vereinbar? „Prinzipiell sollte zwischen Arzt und Patient ein Vertrauensverhältnis bestehen. Dazu gehört auch, dass ich dem Patienten die Wahrheit über seinen Zustand sage“, so der Internist.

Eine Einschränkung gebe es ... und hier gelte nicht das Lehrbuch Seite vier Absatz drei, sondern nur die persönliche Einschätzung des behandelnden Arztes, ob sein Patient im Moment die ganze Wahrheit verkraften würde. „Wenn ich den Eindruck habe, dass ich ihm mit der Wahrheit mehr schade als nütze, werde ich zwar nicht die Unwahrheit sagen, aber vielleicht auch nicht die ganze Wahrheit“.

Der einmal geleistete Eid beinhalte auch den Passus, dass ein Arzt alle Patienten gleich behandle, egal welcher Religion, Hautfarbe oder sozialer Herkunft diese angehörten. Wie geht das mit der viel zitierten „Zweiklassen-Medizin“ zusammen?

Dr. Schuster: „Ich halte dieses Thema für aufgebauscht und übertrieben dargestellt. Im niedergelassenen Bereich habe ich das gleiche „Werkzeug“ für alle, von der Nadel über das Röntgengerät bis zum Endoskop, egal ob ich einen Privat- oder Kassenpatienten vor mir habe“, so der Mediziner.

Auch bei den Wartezeiten mache er keine Unterschiede, sondern entscheide bei Terminen nach medizinischer Dringlichkeit. Ehrlicherweise müsse man aber sagen: „Ich könnte meine Praxis ausschließlich mit Kassenpatienten nicht wirtschaftlich führen!“, so Schuster.

Die Privaten würden Kosten wie Mitarbeiter, Praxisräume, Reparaturen, Geräte, die ein Arzt monatlich aufbringen muss, quer finanzieren. Die politische Diskussion um die so genannte Bürgerversicherung hieße im Umkehrschluss, dass die Kassenbeiträge für alle höher werden müssten, damit das ganze System überhaupt noch funktioniert.

Das Interview mit Dr. Schuster, Arzt in Würzburg und Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, führte Leporello-Chefredakteurin Susanna Khoury.

Bildnachweis: Dr. Schuster © Zentralrat der Juden /Thomas Lohnes , Zentralrat der Juden /Christian Rudnik

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