„DenkOrt Deportationen“ am Würzburger Hauptbahnhof halten Erinnerung wach

von Michaela Schneider (erschienen in Ausgabe 07/2020)

Skulpturen verschiedener Gepäckstücke am Würzburger Hauptbahnhof erinnern seit kurzem an Menschen, die aufgrund ihrer Religion entrechtet, deportiert und ermordet wurden.
Als am 17. Juni 1943 um 14.19 Uhr der letzte größere Deportationszug in Würzburg abfuhr, blieben Berge mit Gepäckstücken zurück.


Gepäckstücke von Menschen, die in Konzentrations- und Tötungslager gebracht wurden und für die es keine Rückkehr gab. Mit dem „DenkOrt Deportationen“ unmittelbar neben dem Würzburger Hauptbahnhof soll die Erinnerung an 2069 jüdische Männer, Frauen und Kinder aus Unterfranken wach gehalten werden, die zwischen 1941 und 1944 deportiert wurden. Nur wenige von ihnen, die Rede ist von 63, überlebten. Fototafeln begleiteten die Reden bei der Eröffnung – Bilder jener 22 Menschen, die am 17. Juni vor 77 Jahren ins deportiert wurden. Darunter auch drei Kinder, das jüngste eineinhalb Jahre jung.

Die Anfänge des Projekts gehen zurück ins Jahr 2011, als rund 3000 Menschen bei einem Gedenkmarsch zum Güterbahnhof Aumühle liefen, um an jenen Weg zu erinnern, den die meisten unterfränkischen Juden zu den Deportationszügen gehen mussten. Anfängliche Pläne zu einem Denkmal direkt am Güterbahnhof zerschlugen sich, doch eine Gruppe um Benita Stolz, heute Vorsitzende des Vereins „DenkOrt Deportationen“, suchte ab 2015 unermüdlich weiter nach einem würdigen Standort. „Er steht nicht schamhaft weggerückt im schützenden Grün des Ringparks, sondern offensichtlich und begehbar für tausende von Menschen, die täglich am Bahnhof sind. Ein Entschluss, zu dem auch Mut gehörte“, so Stolz.

Den Entwurf zum DenkOrt entwickelte der Architekt Matthias Braun, die Inspiration zur Idee lieferte ihm eine historische Fotografie, die auch auf den erklärenden Gedenkstelen am DenkOrt zu finden ist. Zu sehen ist darauf das zurückgelassene Gepäck deportierter Männer, Frauen und Kinder am Güterbahnhof Aumühle.

Oberbürgermeister Schuchardt erläutert die Idee des DenkOrts: Skulpturen von 47 Gepäckstücken sind bislang installiert, jedes steht symbolisch für einen Ort in Unterfranken, in dem sich einst eine jüdische Gemeinde befand. Schuchardt geht davon aus, dass in absehbarer Zeit weitere Gepäckstücke installiert werden, denn vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten gab es insgesamt 109 jüdische Gemeinden in Unterfranken – so viele wie 1933 in keinem anderen deutschen Regierungsbezirk. Der DenkOrt im Herzen Würzburgs wird künftig den Knotenpunkt bilden eines Netzes aus Gedenkstätten, denn in jeder der Gemeinden wird eine identische Gepäckstück-Skulptur errichtet als weiterer Erinnerungsort. „Ein politischer Ort ist entstanden und am Entstehen, der uns heute und in Zukunft lehrt, wohin Hass in der Gesellschaft führt“, so Schuchardt. Er bezeichnet Erinnerung als den „Schlüssel zu einer besseren und menschlicheren Zukunft“.

Die Erinnerung ans jüdische Deutschland auszulöschen, sei eines der widerwärtigen Ziele der Nazis gewesen, sagt Ludwig Spaenle, Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus. Er spricht bei der DenkOrt-Eröffnung von einer „perversen, perfiden Idee, Menschen auszulöschen im physischen Sinne, aber auch in der Erinnerung an ein Stück Kultur“. Entrechtlichung, Deportationen und der Genozid von Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft habe inmitten der Öffentlichkeit stattgefunden als eine der zentralen ideologischen Zielsetzungen.

Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, der selbst in Würzburg lebt, verweist auf schwindendes Wissen um den Holocaust. Wichtig sei es daher, junge Menschen ins Geschehen einzubeziehen. Und genau das geschieht als zweite Säule des Projekts: Unter dem Motto „Denkorte gegen den Hass“ werden seit November 2018 Jugendliche und junge Erwachsene in den 109 Kommunen mit ehemaligen jüdischen Gemeinden in Unterfranken als junge Multiplikatoren ausgebildet. Ziel ist es, dass sie sich mit den Biografien der Opfer des Nationalsozialismus in ihrer Heimatgemeinde auseinandersetzen und eigene Konzepte für die Präsentation des Gepäckstücks, für begleitende Aktivitäten und Aktionen entwickeln. Verantwortlich für „Denkorte gegen den Hass“ zeichnet das Würzburger Bündnis für Zivilcourage in Kooperation mit der Jugendbildungsstätte Unterfranken, dem Bezirksjugendring Unterfranken und dem Johanna-Stahl-Zentrum, regionales Kompetenzzentrum für jüdische Geschichte und Kultur in Unterfranken. „Es gehe darum zu erklären, was geschehen sei, vor allem aber, wie es dazu kommen konnte, sagt Dr. Schuster, und weiter: „Die Weitergabe der Erinnerung schulden wir unserer Demokratie. Wir schulden es den kommenden Generationen. (…) Wir schulden es unseren ermordeten Großeltern und unseren Verwandten, die nicht zurückgekommen sind. Von denen nur ein Gepäckstück am Wegesrand zurückblieb.“

Schließlich arbeitet das Johanna-Stahl-Zentrum als dritte Projektsäule an der historischen Onlineerinnerung unter dem Titel „DenkOrt 2.0.“ Zum einen geht es darum, die rund 140 jüdischen Gemeinden und weiteren Wohnorte vorzustellen: Alter und Größe der Gemeinden kämen zur Sprache und die Frage, was mit den jüdischen Bewohnern passierte, erklärt Zentrumsleiterin Rotraud Ries. Zum anderen will ihr kleines Team – und das ist eine wahre Mammutaufgabe - Kurzbiographien der 2069 Menschen erarbeiten, die aus Unterfranken deportiert wurden. „Es geht immer und im Kern um Menschen“, sagt Ries.


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www.denkort-deportationen.de

Bildnachweis: Michaela Schneider

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