Annäherung an das Thema Glück, Teil 4

von Susanna Khoury (erschienen in Ausgabe 10/2011)

„Es gibt keine tiefere Sehnsucht als die nach der Erfüllung. Sie kann nicht befriedigt werden!“, konstatierte Kurt Tucholsky.

Diese Aussage des deutschen Journalisten und Schriftstellers knüpft an den „Flow-Gedanken“ an, den wir im Diskurs zu Glück im letzten Leporello-Magazin aufgegriffen haben. Glücksgefühle sind demnach auf dem Weg zum Ziel stärker ausgeprägt als wenn man es schlussendlich erreicht hat.

„Im Aufbruch, nicht am Ziel liegt das Glück“, so Paul Watzlawick in seiner „Anleitung zum Unglücklichsein“. Und auch der chinesische Philosoph Laotzu empfahl schon im 6. Jahrhundert das Werk zu vergessen, sobald es beendet ist. Erfolg, Macht, Anerkennung durch andere, Selbstachtung und Glück (was immer auch wir darunter verstehen) wird allzu oft vom Erreichen eines gesteckten Zieles abhängig gemacht, obwohl der Lohn eigentlich auf dem Weg liegt, nicht hinter der Zielmarke.

„To travel hopefully is a better thing than to arrive…!”, betitelte 1987 der schottische Autor Robert Louis Stevenson ein Album der britischen Popband “Swing out Sisters”, das postwendend Platz 1 der britischen Charts erklomm. Daher kommt es auch nicht selten vor, dass Menschen ihre Ziele so hoch hängen, dass sie kaum oder nur sehr schwer zu erreichen sind.

Wenn man sein Ziel in weite Ferne rückt oder hoch auf einem Sockel ansiedelt, wird jeder verstehen, wenn man sich beim Verfolgen des Selben im Labyrinth verirrt oder sich beim Klettern den Fuß bricht. Das Scheitern hochfliegender Ziele ist kein Phänomen unserer Tage, sondern hat eine lange Tradition. Es gibt viele Vorbilder vor allem in der Literatur wie Cervantes mit seinem Kampf gegen die Windmühlen oder die Romantiker, die die „Blaue Blume“ zum Inbegriff des größten Glücks hochstilisierten, auf deren Suche sie sich ihr Leben lang begaben.

„Leben heißt Sehnsucht verehren!“, sagt der deutsche Dichter und Maler Max Dauthendey und vielleicht ist es wirklich so. Wir wollen das Gefühl der Sehnsucht, die Vorfreude auf einen „Gewinn“ konservieren, weil diese Sehnsucht uns antreibt. Sie ist das Öl, das den Motor schmiert, damit er zu Höchstgeschwindigkeiten aufläuft. Und beim hochtourigen Rasen über die Autobahnen des Lebens mit dem Blick auf den Horizont verfallen wir in einen Rausch-Zustand, der uns höchst glücklich macht. Wesentlich dabei ist, dass wir ein Ziel vor Augen haben, aber weder sehen noch erreichen können, zumindest für den Moment.

Der Schweizer Volksbühnenautor Otto Baumgartner–Amstad hat dieses Gefühl folgendermaßen beschrieben:“ Am Meer verspüre ich die Sehnsucht nach dem Ufer, das ich nicht sehe!“ In der Liebe, die wir zu 90 Prozent für unser Glück verantwortlich machen (bemerkenswert, wo doch laut dem französischen Philosophen Jean- Paul Satre, die Anderen die Hölle sind, „l´enfer, c´est les autres“), setzen wir auf den Weg, nicht auf das Ziel und auch hier spielt die Sehnsucht eine ganz entscheidende Rolle.

Der Genfer Philosoph Jean-Jacques Rousseau schrieb an in einem Brief an Madame d´Houdetot: „Wenn sie mein werden, so verliere ich, eben dadurch, dass ich sie besitze, sie, die ich ehre!“ Paradox, aber weit verbreitet. Warum sonst, verliebt man sich in einen Priester, einen Filmstar oder einen verheirateten Partner? Man reist hoffnungsfroh ohne jemals anzukommen. „Zu-dem bleibt einem die Ernüchterung erspart, feststellen zu müssen, dass der andere durchaus bereit wäre eine Beziehung anzustreben“, so Watzlawick, „was ihn mit sofortiger Wirkung unattraktiv erscheinen ließe!“

Die Hölle, das sind nicht die Anderen, das sind wir. Die zeitgenössische deutsche Sängerin Annett Louisan bringt es mit ihrem Liedtext „Den, den ich will“ auf den Punkt und bestätigt die Hypothese: „Es braucht diesen flüchtigen Schmerz, mein rast- und besitzloses Herz. Will höllisch vermissen, statt halten zu müssen. Ich will mein Idol nicht verlier´n. Steig auf dein Denkmal zurück, schenk´ mir kein´ einzigen Blick, bleib hart, leiste kein Schwur, sonst wärst du ja nur, der, den ich hab. Zeig´ keine Schwäche für mich, behalt´ dein Verlangen für dich. Denn sonst wärst du nicht mehr, der, den ich will!“

Und wenn selbst der dänische Märchendichter Hans Christian Andersen der Meinung ist: „Liebe ist Sehnsucht und gestillte Sehnsucht vergeht!“, dann ist es kein Wunder, dass wir uns mit den „Happy Ends“ im wirklichen Leben schwer tun… Wer nun neugierig geworden ist, weil er/sie sich irgendwie irgendwo wiederfindet, darf sich auf das November-Leporello freuen, wenn wir erneut die Büchse der Pandora öffnen und fragen: Was ist Glück?“.

So viel sei noch gesagt: Das Leben ist ein Spiel, die Regeln beinhalten Vertrauen, Ehrlichkeit, Authentizität, Toleranz und Fairness. Glücklich kann man nur werden, wenn für beide Seiten ein „Nicht-Nullsummen- Spiel“ (Watzlawick), das heißt eine Win-Win-Situation herbeigeführt wird, aus der beide Partner als Gewinner hervorgehen.

Bildnachweis: Privat

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