Windmühlenkämpfe

von Glosserello (erschienen in Ausgabe 5/2010)

Griechenland vor dem "Aus", die katholische Kirche in der Krise, die Politik nur am Reagieren und TV, Funk und Zeitung treiben jeweils Anfang der Woche eine neue Sau durchs Mediendorf, die sie Ende der Woche unter Worthülsen bei Johannes B. Kerner, Markus Lanz oder Anne Will begraben (obgleich sie nicht einmal wissen, ob „ihre“ Zielgruppe noch schaut, hört, liest oder schon lange surft). Euphemistisch gesprochen befindet sich die Gesellschaft im Umbruch, im Wandel. Werte haben ihre Halbwertszeit überschritten, ihre einstige Bedeutung verloren und noch keine neue Konnotation erfahren. Don Quijote ist die ungewollte Leitfigur der Politik, die den Kampf mit den Windmühlen aufgenommen hat. Ähnlich wie der Ritter von der traurigen Gestalt handelt sie nach Regeln, die es in einem sich verändernden Koordinatensystem nicht mehr gibt und verirrt sich in einer Welt der Ambiguitäten, in Kosmen gegensätzlicher Wahrheiten. Und ich kann für uns alle nur hoffen, dass das Ende ein Anderes sein wird als bei Don Quijote.

Aus Fehlern lernen

Nicht verwunderlich, dass man gerade jetzt einer Gedächtnisund Erinnerungskultur das Wort redet, um den längst abgerissenen Faden zur Vergangenheit, zu guten alten Werten wieder aufzunehmen. Ein bisschen spät vielleicht? Aber wie heißt es so schön, besser spät als nie! Museen, Archive oder Friedhöfe sind voll von gelebter Geschichte, von Begebenheiten, die einmal Gegenwart und Zukunft waren und jetzt Vergangenheit sind, so wie unsere Gegenwart und Zukunft einmal Vergangenheit sein wird. Mit diesem Fundus an Wissen, Erfahrungen und Fehlern, die bereits alle gemacht worden sind, sollte es doch ein Leichtes sein, nach dem Schema von Trial und Error Weltfrieden (um einmal hoch zu greifen) zu realisieren. Weit gefehlt! Man hat das Gefühl, jeder muss das Rad immer wieder neu erfinden, niemand baut auf den Erfahrungen der Anderen auf. Nach dem Motto, wenn ich den Fehler in Grün mache, statt in Rot, ist er vielleicht nicht so falsch und ich weiß sowieso alles besser? Zum Haare raufen! Kein Wunder, dass nach der jüngsten Umfrage der Friedrich Ebert-Stiftung die Mehrheit der Bevölkerung Demokratie nicht mehr für die beste Regierungsform hält. Dennoch wünschen und hoffen die Menschen, dass die Politiker doch noch alles hinbekommen. Es ist also noch nicht Hopfen und Malz verloren, eine Rückbesinnung darauf, worauf es ankommt, ist noch möglich – in der Politik. Bei der Kirche sieht es schon anders aus, hier verzeichnet man derzeit dreimal so viele Kirchenaustritte wie im Vorjahr. Hier ist es nicht 5 vor 12, sondern schon deutlich später (auch das akademische Viertel eingerechnet)! Eine Instanz, die Jahrhunderte lang für traditionelle Werte stand, hat gefährlich an Glaubwürdigkeit verloren, weil ihre Werte im Laufe der Zeit keine Konnotationsänderung erfahren haben (was dringend notwendig gewesen wäre).

Leben ist Veränderung

Leben ist Veränderung und erstarrte Strukturen lassen keinen Platz für Wandel. Apropos Wandel, Wertewandel oder Werteverlust – das ist die Frage dieser Tage. Und hier hat auch die Kultur eine tragende Rolle. Sie sollte nämlich die Werte der Vergangenheit stetig mit den Bedürfnissen der Gegenwart abgleichen, um daraus Wertschöpfung für die Zukunft zu betreiben. Unbequemes fördern Die Freidenker, kritischen Geister und Widersprecher sind gefragt und gefürchtet, weil sie als Alter Ego schon früher der herrschenden Schicht den Spiegel vorgehalten haben (nicht umsonst sind immer zuerst die Köpfe der kritischen Geister gerollt). Aber auch nicht umsonst misst man noch heute ein taugliches Staatswesen daran, wie sein Verhältnis zu Kunst und Kultur und zu dessen Produzenten ist (Herausgeber von unabhängigen Kulturmagazinen eingeschlossen). Es gehört Mut und Größe dazu, das Unbequeme, Sperrige, Andere zuzulassen oder gar zu fördern. Wer jedoch das erstickt, erstickt sich selbst und jegliche Perspektive von Demokratie in der Zukunft. Kultur ist einer der stabilsten Wirtschaftsfaktoren. Bildung ist ohne Kultur nicht möglich und Bildung wiederum schlägt wirtschaftlich zu Buche (nicht von ungefähr waren die Gewinner der PISA-Studie auch ökonomisch Klassenbeste). Will sagen, wenn man die Kultur fördert, so schmeißt man auch die Wirtschaft an! Das Schöne an der Kultur ist dabei noch, sie hat immer einen Zweitnutzen, einen doppelten Boden, ein Zwischen-den-Zeilen- Verstecktes: Sie lehrt die Tugend des Selbstzweifelns, des Infragestellens des Angesagten und der Selbstkritik - ein Grund, warum sie von der Politik als freiwillige Leistung meist als Erstes weggekürzt wird?!

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