Gedenken an die Verbrechen der Pogromnacht von 1938

von Pressemitteilung Stadt Würzburg, Christian Weiß

Oberbürgermeister Christian Schuchardt bei der Gedenkveranstaltung am Platz der ehemaligen Synagoge. Foto: Christian WeißIn der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden in ganz Deutschland Tausende von Geschäften und Wohnungen demoliert und Hunderte von Synagogen und Gebetshäusern zerstört. Unzählige Menschen wurden bedroht, misshandelt, ermordet oder in den Suizid getrieben, fast 30.000 wurden unschuldig verhaftet.

Insgesamt verloren deutschlandweit mehr als 1300 Menschen im Gefolge der Ausschreitungen ihr Leben. Auch in Würzburg forderte die Pogromnacht drei Todesopfer.

Diesen Verbrechen der Pogromnacht von 1938 gedachten am Donnerstagabend am Ort der ehemaligen jüdischen Synagoge Würzburger rund 100 Würzburgerinnen und Würzburger zusammen mit dem Präsidenten des Zentralrates der Juden Dr. Josef Schuster, Kardinal Reinhard Marx, Landesbischof Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm, Regierungspräsident Dr. Paul Beinhofer und Oberbürgermeister Christian Schuchardt.

Die Frage, wie sicher jüdisches Leben in Deutschland ist, habe leider an Aktualität gewonnen, erklärte Dr. Josef Schuster bei der Gedenkstunde.

Es gebe jedoch deutliche Unterschiede zu den Geschehnissen von 1938: Damals handele es sich um staatlich initiierte und staatlich gelenkte Gewaltakte gegen Juden und die breite Bevölkerung schaute schweigend hinzu.

„Heute hingegen stelle sich der Staat schützend vor die Minderheiten und es ist in der Bevölkerung auch nicht die Mehrheit, die Antisemitismus und Rassismus verbreitet“, so Dr. Schuster.

Man dürfe das Erstarken des rechten politischen Randes aber trotzdem nicht auf die leichte Schulter nehmen.

„Wir müssen verhindern, dass die Gesellschaft noch tiefer gespalten wird – weder dürfen Hetze gegen Muslime noch Antisemitismus normal werden“, so der Präsident des Zentralrates der Juden, auch wenn der muslimische Antisemitismus Sorge bereite. Die freiheitliche Demokratie mit ihren Grundrechten sei etwas sehr wertvolles.

„Die Erinnerung an den 9. November 1938 mahnt uns, unsere Werte zu verteidigen und mutig für unsere Demokratie einzustehen“, so Dr. Schuster, der in Deutschland aufgrund der zahlreichen Demonstrationen eine demokratische Aufbruchsstimmung spüre.

„Der 9. November 1938 war der schreckliche Höhepunkt einer Entwicklung, die lange zuvor eingesetzt hatte. In jener Nacht wurde ein ganzes Volk zu Mitwissern des Terrors“, betonte Oberbürgermeister Christian Schuchardt.

Die Geschichte der Judenverfolgung im sogenannten Dritten Reich zeige, wie kurz der Weg ist vom menschenverachtenden Wort zur menschenvernichtenden Tat und wie notwendig es sei, auf das Auftreten von Antisemitismus und Rassismus sofort und entschieden zu reagieren, so der Oberbürgermeister, der hier dringenden Handlungsbedarf sieht.

Zu dieser Entwicklung trage bei, dass führende Repräsentanten einer Partei mit gezielten Provokationen und Tabubrüchen fortgesetzt rote Linien verschieben, indem sie beispielsweise die Erinnerungskultur als „Schuldkultur“ diffamieren oder das Holocaust-Mahnmal in Berlin als „Denkmal der Schande“ schmähen.

Gleichzeitig wurden im vergangenen Jahr 1453 gegen Juden und jüdische Einrichtungen gerichtete Straftaten registriert.

„Vor diesem Hintergrund kann es keinen bequemen Schlussstrich unter die Ereignisse des 9. November 1938 geben. Wir brauchen diesen Tag als Tag der Mahnung, alles zu tun, damit sich das dunkelste Kapitel unserer Geschichte nicht wiederholt“, betont Schuchardt: „Jeder von uns ist für das Klima in unserer Gesellschaft mitverantwortlich. Lassen wir es nicht zu, dass Antisemitismus und Rassismus hierzulande wieder gesellschafts- und mehrheitsfähig werden! Zeigen wir auch dem alltäglichen Rassismus, der sich etwa in abfälligen Bemerkungen, menschenverachtenden Witzen oder diskriminierenden Verhalten äußert, die rote Karte! Stehen wir selbstbewusst ein für Offenheit, Toleranz und wertschätzende Akzeptanz!“

„An diesem Tag erinnern wir uns, welche grausamen Folgen ein Handeln haben kann, das auf Hass, Niedertracht und Mobilisierung der niedrigsten Instinkte der Menschen beruht“, erklärt Unterfrankens Regierungspräsident Dr. Paul Beinhofer, der zur Vorsicht mahnt.

Denn betrachte man nicht nur die Themen, die rechtspopulistische Gruppen Parteien hervorheben, sondern höre auch auf deren Sprache, dann falle auf, dass auch heute Begrifflichkeiten verwendet würden, die in der Weimarer Zeit eingesetzt worden sind, um die damals junge Demokratie zu destabilisieren.

„Wer demokratisch gewählte Politiker immer wieder als Vertreter der Systemparteien und Journalisten als Lügenpresse bezeichnet, der greift Phrasen der Feinde der Demokratie auf“, verurteilte Beinhofer: „Wer die Verunsicherung und Ängste der Menschen benutzt, um Konflikte und Hass zu schüren, der setzt Mittel ein, die sich gegen unser freiheitlich-demokratisches und friedliches Zusammenleben richten.“

Damit sei der 9. November auch eine Mahnung, sich immer bewusst zu sein, durch welche Denkungsart ein Handeln aus Hass entstehe.

„Die Opfer der Pogromnacht vom 9. November 1938 und des Holocaust mahnen uns, nicht wegzuschauen und nicht wegzuhören, sie mahnen uns, Worte und Symbole, die in der Vergangenheit für ein menschenverachtendes Menschenbild und gegen die Demokratie eingesetzt worden sind, nicht zu überhören. Der heutige Gedenktag ist eine Mahnung, dass wir diese Worte und Symbole nicht verharmlosen und ihren Ursprung erkennen. Lassen Sie uns heute nach Hause gehen in der Gewissheit, dass das ‚Nie wieder‘ fest in unserem Selbstverständnis verankert ist und dass alle, die sich gegen unsere Demokratie wenden, an diesem Selbstverständnis scheitern werden“, so Beinhofer.

Die Reichspogromnacht markiere den Übergang von der rechtlichen Diskriminierung zur offenen Verfolgung, ein Weg der schließlich zur Schoah geführt hat, betonte Kardinal Reinhard Marx.

„Dass damals so viele weggeschaut haben, manche sogar mitgeholfen haben, erfüllt uns heute mit großer Scham“, so Marx.

Es sei auch heute notwendig, den Ereignissen des 9. November 1938 zu gedenken, da zum einen die Ereignisse von damals zeigen, dass Rechtsstaat und Demokratie keine Errungenschaften sind, die einmal erworben werden und dann selbstverständlich seien.

Die Demokratie sei vielmehr eine sehr herausfordernde Wirklichkeit, die nicht von selbst weitergeführt werde, sondern nur wenn die Menschen sich engagieren und füreinander eintreten würden. Der demokratische Rechtsstaat setze voraus, dass sich die Bürger im Alltag mit Respekt begegnen und sich auch im Streit um Wahrheit und Wahrhaftigkeit bemühen. Wo diese Werte missachten würden, gerate das friedliche Zusammenleben in Gefahr.

Das jüdische Leben sei aber auch ein Seismograph der deutschen Gesellschaft. Eine Lehre aus den Ereignissen vor 80 Jahren laute „wir dürfen nicht wegschauen“, wenn Juden angegriffen werden.

„Wir sind verpflichtet, antijüdischen Vorurteilen zu widersprechen, antijüdischen Angriffen zu widerstehen. Das ist Bürgerpflicht und Pflicht aller Christen“, so Marx: „Ein Christ kann kein Antisemit sein“ zitierte der Kardinal Papst Franziskus und fügte hinzu: „Wir wollen versprechen, dass wir nicht noch einmal wegschauen.“

„Wer einmal an einer Holocaust-Gedenkstätte die Namen derer gelesen hat, die durch die Nationalsozialisten ermordet wurden; wer die Geschichten und damit verbundenen Schicksale gehört hat, der kann nie und nimmer dafür plädieren, das Gedenken an die Pogromnacht zurückzudrängen und die Untaten von damals nicht mehr in gleicher Weise wie bisher in Erinnerung zu rufen und im Gedächtnis zu behalten“, betonte Landesbischof Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm: „Der Rückblick in die dunkelsten Stunden der Deutschen Geschichte macht uns bewusst, welch große Schuld die Menschen in unserem Land auf sich geladen haben, indem sie gemordet, getreten und geschlagen, denunziert oder einfach nur weggeschaut haben.“

Unsere Aufgabe sei es heute, Kinder und Jugendliche so zu erziehen, dass sie Respekt haben vor allen Menschen, auch und gerade Menschen jüdischen Glaubens. Zum Abschluss der Gedenkstunde auf dem Platz der ehemaligen Synagoge sprach Rabbiner Jakov Ebert ein Gebet.

Bildnachweis: Christian Weiß

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