Christoph Bossert geht in der Lehre neue Wege. Er baut eine Videothek und eine digitale Lehrbibliothek auf und gründet eine Akademie

von Michaela Schneider (erschienen in Ausgabe 07/2022)

Es gebe noch viele blinde Flecken in bestimmten Sektoren der Orgelkunst, sagt Professor Christoph Bossert. Das beginne in der Region, viel zu wenig sei bislang auf den mainfränkischen Orgelstil geschaut worden. Und es geht weiter mit seiner These, dass sich in Bachs Gesamtwerk zahlreiche symbolisch-theologische Aussagen verbergen, die erst entdeckt, wer zu rechnen beginnt. Auch ist Bossert überzeugt, dass nicht, wie landläufig angenommen, die Orgeln dem Orchesterklang nacheiferten, sondern das Ganze umgekehrt ablief: „Die Orgel ging voran, das Orchester folgte.“ Kurzum: An Themen, über die sich Orgelkunst-Experten auf nationaler wie internationaler Ebene intensiver austauschen sollten, mangelt es aus Sicht des Professors nicht.

Sein über Drittmittel finanziertes Projekt „Digitalisierung, Vernetzung und Vermittlung in der Lehre der internationalen Orgelkunst“ soll eben diesen Austausch anstoßen und basiert auf drei Säulen: auf insgesamt 84 Lehrvideos zu Instrumenten, Orgelstilen und praktischem Orgelspiel; auf einer Digitalen Lehrbibliothek (DLB) mit internationalem Fachliteraturverzeichnis; und auf einer „Süddeutschen Akademie für Europäische Orgelkultur“ (SAFOK). Mittelfristig will Bossert so Lehrvideos mit
Präsenzformen verknüpfen, weil es Exkursionen brauche, „um die Komplexität historischer und zeitgenössischer Orgeln abzubilden“. Projektträger ist die „Stiftung Innovation in der Hochschullehre“, sie finanziert seit vorigem August bis 2024 drei Vollzeitstellen.

Seit April 2007 arbeitet der gebürtige Schwäbisch Haller inzwischen als Professor für künstlerisches und liturgisches Orgelspiel und Leiter der Abteilung Kirchenmusik und Orgel an der Hochschule für Musik Würzburg. Weltweit gab er Meisterkurse, zudem widmete sich der Organist über Jahre einer intensiven, internationalen Konzerttätigkeit. Unter seinen zahlreichen Einspielungen sorgten vor allem die Gesamteinspielung der Orgelwerke Max Regers an authentischen Instrumenten und die weltweit erste Einspielung von Bachs „Wohltemperiertem Clavier“ an Orgeln des 18. Jahrhundert für Aufmerksamkeit.

Auch komponierte er für Rundfunkanstalten und Festivals. In vielen Bereichen der Orgelkunst und Lehre müsste ein intensiverer wissenschaftlicher Diskurs stattfinden, ist der Kirchenmusikdirektor überzeugt und bereitet deshalb die Gründung einer „Süddeutschen Akademie für Europäische Orgelkultur“ vor. Dahinter steht die Idee, dass sich Interessenten mithilfe der Lehrvideos zunächst in die Vielfalt der Orgelkunst einarbeiten, dann aber unter anderem bei Exkursionen intensiver in bestimmte Themen einsteigen können. Anbieten will Bossert „Junioruniversitäten“ als dreitägigen Vorstudiumskurs, etwa für junge Stipendiaten; spezielle Thementage, die sich an bestimmte Zielgruppen wie etwa Orgelbauer oder Organisten wenden; und Kurstage für Studierende an süddeutschen Orgeln, für die sich die jungen Leute ganz besonders interessieren. Orgeln seien so vielgestaltig, dass der direkte Kontakt mit dem Instrument unabdingbar sei für angehende Organisten, sagt Bossert.

Bildnachweis: Steffen Braun

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