Über die Wandlungsfähigkeit der Sopranistin Anja Gutgesell

von Susanna Khoury

„Madam, wie viele Gesichter besitzen Sie?“, sagte der Journalist und Vertraute Marlene Dietrichs, Alain Bosquet, der Filmdiva einmal am Telefon. Anja Gutgesell gab kurz nach der Premiere von Verdis Maskenball am Mainfranken Theater, in der sie den Oskar spielte, die Dietrich in Sandra Maus Format der Literatur-Lounge im Bronnbach. Dabei las sie zusammen mit Maus unter anderem aus dem Buch Bosquets „Eine Liebe am Telefon“. Die Publikumsreaktion war frenetisch: „Sie singt besser als die Dietrich!“. Ebenso heimste sie tosenden Beifall beim „Rot & Erotisch-Festival in Karlstadt“ mit dem Leporello-Lesungsprogramm zusammen mit Brigitte Obermeier ein. Die Mainpost schrieb: „Sie entführte mit Titeln von Edith Piaf, ihrer tollen Stimme und makellosem Französisch ins Paris der 50er Jahre ... Das Publikum hing geradezu an ihren Lippen, und bei „La vie en rose“ gab es erst Gänsehaut, dann Pfiffe und Szenenapplaus“. Ob als Piaf, Dietrich, Papagena oder Oskar, Anja Gutgesell avancierte in kürzester Zeit zum Liebling des Publikums und der Presse. Wie hat sie das geschafft? „Bei Marlene oder Piaf braucht es eigentlich eine wesentlich tiefere Stimme als die Meine - ich bin Soubrette! Aber ich mache auch kein Karaoke, ich will niemanden nachahmen, sondern authentisch die Gefühlswelt der Lieder wider spiegeln“.

Ein Fräulein...

Die 33jährige gebürtige Werneckerin tourte nach ihrer Gesangsausbildung am Hermann Zilcher Konservatorium in Würzburg (wo ehemals auch Norbert Glanzberg studierte) und zwei Meisterkursen bei Ingeborg Hallstein sowie Anna Reynolds seit über zehn Jahren mit der Formation „Die Fräuleins“ durch die Republik. Hierbei sammelte sie unter anderem die Sicherheit, mit der sie sich heute souverän auf der großen Bühne bewegt. „Das leichte Musengenre ist ein guter Spielplatz. Jeden Abend eine andere Bühne, ein anderes Publikum, da passiert schon so Manches. Und beim Fräuleins-Programm konnte man insofern gut retten, da Lacher sowieso mit zur Publikumsreaktion gehörten. Auf der großen Bühne ist das etwas anderes. Da musst du in deiner Rolle bleiben und kannst nur bedingt improvisieren, sonst schmeißt du die anderen raus und zerstörst den Spannungsbogen.“ Ein Liedtext bleibt der sympathischen Sängerin wohl ewig in Erinnerung. Das war bei einem Operettenabstecher in Schweinfurt, als ihr der Sender ihres Mikrofons aus dem Täschchen viel und da mit Nachthemd begleitet nicht viel Stoff da war, um diesen wieder unterzubringen... „ja, da hob ich einfach mein Nachthemd hinten hoch und steckte mir den Sender in die Unterhose, während ich sang: Wem nichts passiert, wer nichts riskiert, dem bleibt nichts für die Erinnerung!“ Laut Anja Gutgesell hat sich das Publikum sehr amüsiert, und es sei keine Häme gewesen, sondern ein positives, mitfühlendes Lachen. Live ist live und auch life... “Die Bewunderung vom Zuschauer für die Protagonisten auf der Bühne ist in der Regel groß, wenn etwas passiert und es dadurch menschelt, sehe ich das nicht als hochdramatisch an“, so die versierte Allrounderin. Als Marlene Dietrich singt sie „Ich bin doch zu schade für einen allein. Wenn ich jetzt grad’ dir Treue schwöre, wird wieder ein anderer ganz unglücklich sein... ich weiß nicht, zu wem ich gehöre. Ich glaub’ ich gehöre nur mir ganz allein“. Dieser Songtext lässt sich nicht Anja Gutgesell privat, aber auf jeden Fall auf Gutgesells Liebe zu ihrem Beruf ummünzen. Sie ist die Frau mit den vielen Gesichtern... „Ich genieße es, mich nicht festlegen zu müssen. Ich freue mich, dass ich nun fest am Theater engagiert bin, aber ich finde es auch toll auf Kleinkunstbühnen ganz nah am Publikum zu sein und mich ausprobieren zu können“.

Frech wie Oskar

Das hat sie nun lange gemacht, mit dem „Oskar“ in Verdis Maskenball am Mainfranken Theater schlägt sie nun ein anderes Kapitel in ihrem Lebenslauf auf: „Oskar hat mich fasziniert, weil ich einmal eine Hosenrollen spielen darf und nicht nur die rumhüpfende Soubrette. Ich bin in der Rolle aufgegangen, da ich ja von Haus aus frech wie Oskar bin!“ Das stimmt zwar, aber eben nur als eine von unzähligen Facetten, wie quirlig, bezaubernd, hübsch, mitfühlend, emotional, ausdruckstark, Sonnenschein verbreitend und und und. Was muss man mitbringen, um in diesem Beruf, gut zu sein? „Mut, die Freude vor Publikum zu singen, auch ein Stück weit Exhibitionismus... man legt soviel von sich selber mit in eine Rolle. Man muss das, was man singt, in dem Moment auch empfinden, sonst kommt es nicht über die Rampe. Das muss man schon auch können und mögen.“ Und Anja Gutgesell mag es, sie liebt ihren Beruf als Sängerin, obwohl sie eigentlich ganz andere Pläne hatte... “Ich wollte unbedingt Mechanikerin werden, Autos selber tunen, aber dann war ich nicht so geschickt mit den Händen. Aber, wenn ich „groß“ bin, dann kaufe ich mir ein schönes, schnelles Auto!“ Und so wurde sie Sängerin: „Ich hoffe, dass ich diesen Beruf bis ins hohe Alter ausüben kann. Singen ist das, was ich liebe, wo ich mich ausleben kann. Ich kann schon verstehen, dass ein Jopi Heesters nicht abtreten möchte. Ich will jedoch nicht, dass mich irgendwer einmal zum Klavier trägt.“

Nicht machen, sein!

Anja Gutgesell liebt die Verwandlung. Sobald sie Schminke im Gesicht hat und ein Kostüm an, schlüpft sie in eine Rolle, wie die auch immer aussehen mag... “Über Kostüm und Maske komme ich in jede Figur rein, ich gebe dann, was für mein Gefühl das Richtige ist, das kann man nicht lernen. Ich mache nicht, ich bin...“ Dieses unbedingte Einlassen birgt natürlich auch Gefahren in sich, zum Beispiel die mit der Rückverwandlung ins wirkliche Leben. Wenn der Schein zum Sein wurde und das Sein nur noch scheint... “Es geht alles über Emotionen. Bei einer Premiere gibst du alles und im Idealfall kriegst du alles zurück, dann feierst du noch und irgendwann gehst du nach Hause und bist ganz allein. Jeder fällt da in ein Loch“. Deswegen gibt es wohl auch Kollegen, die nehmen die Rollen mit in ihr Leben, in der Hoffnung, dieses Gefühl konservieren zu können, was natürlich nicht gelingt. „Dieses Gefühl ist so flüchtig wie ein Luftzug, wie Glück, es dauert nur ganz kurz an“, so die Sopranistin mit Bodenhaftung. Dieses himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt ist auch dafür verantwortlich, dass große Stars der Branche abstürzen, wenn der nächste Erfolg ausbleibt oder auch nur auf sich warten lässt. „Applaus ist wie eine Droge. Und es ist ja nicht nur der Applaus. Es ist dieses Gefühl, du hast Menschen zu Tränen gerührt oder zum Lachen gebracht oder beides - und das an einem Abend! Das löst ungeglaubte Glücksgefühle aus!“ Oder, um mit den Worten der großen Dietrich zu sprechen: „Wenn ich mir was wünschen dürfte, käm´ ich in Verlegenheit, was ich mir denn wünschen sollte, eine schlimme oder gute Zeit. Wenn ich mir was wünschen dürfte, möchte ich etwas glücklich sein, denn wenn ich gar zu glücklich wär', hätt' ich Heimweh nach dem Traurigsein...!“

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