Epidemien und Pandemien in der Musikgeschichte

von Michaela Schneider (erschienen in Ausgabe 1/2021)

Noch ist nicht absehbar, ob Komponisten die Corona-Pandemie zum Thema ihres Schaffens machen werden. Christoph Henzel, Professor für Historische Musikwissenschaft an der Hochschule für Musik (HfM) in Würzburg, hat sich in der Musikgeschichte auf Spurensuche begeben: Beeinflussten frühere Epidemien wie Cholera, Pest oder die Spanische Grippe das künstlerische Schaffen? Auch stieß er auf einen Musiklockdown, wie er beim internationalen Symposium an der HfM berichtete.

Lockdown und Pandemie – in musikhistorischen Überblicksdarstellungen kämen diese beiden Dinge schlichtweg nicht vor, so Henzels erste Erkenntnis. Und das wohl nicht zuletzt, weil sie zum Lebensalltag dazugehörten. Allenfalls am Rande begegne einem in der Musikgeschichte der Schwarze Tod – jene verheerende Pest­epidemie, die zwischen 1347 und 1353 fast ganz Europa erfasste. Was sich indes fände, seien künstlerische Reaktionen, vor allem die Pestlieder aus dem 16. und frühen 17. Jahrhundert. Einen Einschnitt in der Wahrnehmung bedeutete der Dreißigjährige Krieg: Flucht, Verarmung und Hunger begünstigten die Ausbreitung von Epidemien. Zwei Kompositionen nennt Henzel, die auf diesen Zusammenhang verweisen: Johann Hildebrands „Krieges-Angst-Seufftzer“ von 1645 und Johann Rists „Letstes Klag-Lied. Uber das hefftig verwundete, durch Krieg, Pest und Hunger aüsserst geplagte und nunmehr mit dem Tode ringende Teutschland“ im Drama „Das Friedewünschende Teutschland“.

Eine Art kulturellen, staatlich verhängten Musiklockdown gab es laut Henzel zuvor hierzulande einzig im Spätsommer 1944. Am 25. August ordnete Joseph Goebbels die Schließung sämtlicher Opernhäuser, Theater und Konzertsäle ab 1. September an. Die meisten Orchester und Ensembles wurden aufgelöst. Allerdings betont der Musikwissenschaftler: Über das reine Faktum hinaus gibt es keine Parallele zur Gegenwart, die Voraussetzungen, Umstände und Folgen waren komplett anderer Natur. Ziel der Maßnahme 1944 war keine Kontaktbeschränkung, sondern die Mobilisierung der letzten personellen Ressourcen für Militär und Rüstung. Und Ausnahmen vom Lockdown waren möglich, so fand in Würzburg erst am 25. Januar 1945 das letzte öffentliche Konzert statt.

Im Rückblick wirft der Musikwissenschaftler die Frage auf, weshalb zuvor in Epidemien oder Pandemien nie staatliche Kontaktsperren verhängt wurden. Dafür blickt er auf die Spanische Grippe, die 1918/19 allein in Deutschland mehr als 300.000 Menschenleben forderte. Allerdings herrschte unter Wissenschaftlern wohl zum einen keine Einigkeit über den Auslöser. Zum anderen wollte man die Menschen nach Kriegsjahren und Hungersnot nicht noch weiter beunruhigen und fürchtete die ökonomischen Folgen.

Die Choleraausbrüche des 19. Jahrhunderts spiegelten sich im Musikleben vor allem auch insofern wider, als etwa 1831 in Berlin zahlreiche Wohltätigkeitskonzerte veranstaltet wurden. Cholera galt laut Henzel als ansteckende Armenkrankheit, damit stand die Frage der Fürsorge für Opfer der sozialen Schichten automatisch auf der Tagesordnung. Und Solidarität schlug nach der Choleraepidemie 1892 in Hamburg auch Musikern entgegen. Die Saisoneröffnung verschob sich dort aufgrund der Seuche um zwei Wochen. Berliner Musiker spielten eine Benefizmatinee, um den Hamburger Kollegen finanziell unter die Arme zu greifen.

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