"Gottessuche"

von Lothar Reichel

Ein großes Motto zur rechten Zeit? Wenn Generalmusikdirektor Jin Wang am 8. und 9. Mai im Würzburger Dom Bruckner dirigiert, steht das 5. Sinfoniekonzert der Saison unter der wuchtigen Überschrift „Gottessuche“. Ob der fromme Anton Bruckner mit diesem Etikett einverstanden gewesen wäre? Vielleicht wäre ihm das mit der „Suche“ sogar zu oberflächlich erschienen, er hatte „seinen“ Gott gefunden, und zumindest das „Te Deum“, das im Konzert zu hören sein wird, ist religiös-christliche Musik pur. Die 9. Symphonie d-Moll soll der Komponist angeblich „dem lieben Gott gewidmet“ haben – was musikbegeisterte Katholiken stets dazu beflügelt hat, die gesamte symphonische Welt Anton Bruckners religiös zu vereinnahmen und die Aufführung seiner Musik in den weiten Klangräumen einer christlichen Kathedrale als einzig adäquat anzusehen. Wie begründet eine solche Auffassung wirklich ist, steht dahin – aber immerhin mag das Wort von der „Gottessuche“ als ein möglicher Weg der Annäherung an das Werk Anton Bruckners seinen Sinn haben.Jene, die gerne den Zeitgeist etikettieren und das Recht zur Epochentaufe für sich in Anspruch nehmen, haben unsere Zeit ja längst als „postsäkular“ analysiert und das „Zeitalter einer neuen Religiosität“ eingeläutet. Tatsächlich ist das Thema „Religion und Glaube“ in den Medien präsent wie kaum je zuvor, und der „liebe Gott“ ist dahin zurückgekehrt, wo er im christlichen Abendland jahrhundertelang unangefochten präsent war: in den Raum der breiten Öffentlichkeit.

Die von Richard Dawkins mit „Der Gotteswahn“ kürzlich angeheizte Atheismus-Debatte hatte interessanterweise keine wirkliche Chance, eine nennenswerte Zahl von Befürwortern zu finden. Selbst eingefleischte Naturwissenschaftler bekennen sich mit erstaunlichem Freimut zu Gott als Erklärung für die allerletzten Dinge.Und das Theater als vermeintlicher Ort zur Verhandlung virulenter Zeitfragen? Das steht brav abseits und beteiligt sich nicht an der Diskussion um den Sinn oder Unsinn der Gottessuche – sofern es nicht, wie gerade in Meiningen, den Allerweltssucher Faust auf die Bühne schickt. Das Mainfrankentheater hatte vor einer Reihe von Spielzeiten mal die „Trilogie der Weltreligionen“ von Eric-Emmanuel Schmitt im Programm mit der vollmundigen Ankündigung, in der Bischofsstadt Akzente setzen zu wollen, was das Spannungsfeld „Literatur, Kunst, Theater – Glaube, Religion, Sinnsuche“ angeht. Daraus ist nicht viel geworden – wenn man nicht zu der euphemistischen Sicht flüchtet, alles Dichterisch-Verdichtete im Theater sei letztlich Ausdruck der Sinnsuche und habe immer auch eine allgemein-religiöse Dimension. Ein Blick in die Programme der Theaterverlage zeigt, daß es durchaus aktuelle Stücke gibt, die sich den alten neuen Fragen nach Gott stellen – aber wer sich auf die Suche macht, muß auch etwas finden wollen. Das Theater, so scheint es, überläßt diese Suche im Augenblick lieber der Musik.

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