Leporello im Gespräch mit dem Würzburger Musikwissenschaftler Dr. Hansjörg Ewert

von Lothar Reichel (erschienen in Ausgabe 7-9/2010)


Kaum ist es Sommer, treibt die Musik allüberall üppige Blüten. Festivals und Festspiele, Open- Air-Konzerte und Events. Die Menschen zahlen gern viel dafür, in Musik schwelgen zu dürfen.

Wobei das mit dem „schwelgen“ so eine Sache sei, meint der Musikwissenschaftler Dr. Hansjörg Ewert vom Institut für Musikforschung der Universität Würzburg. Denn das durchaus merkwürdige Wort „schwelgen“ sei ja recht doppeldeutig: Es drücke einen völlig passiven Zustand des Genießens aus und sei dennoch ein aktives Verb. Womit man unversehens bei der nicht einfachen Frage ist, was es mit dem Hören und Genießen von Musik eigentlich auf sich hat. Was geschieht da, und warum tut man es überhaupt?

Was spricht die Musik vor allem an, den Kopf oder das Gefühl? Nun, das Gefühl, möchte man meinen. Denn Musik drückt doch Gefühle aus, oder? Musik ist so etwas wie die Stenographie von Gefühlen, vielleicht auch Chiffre für Gefühle?

Der Musikwissenschaftler wiegt bei solchen Sätzen den Kopf und dringt auf Klärung der Begriffe. Stenographie hält er für falsch, denn da gehe es um Abkürzung, und Musik breite je eher aus, als dass sie abkürze. Und das mit den Gefühlen, nun ja. Dr. Ewert wirft den Begriff „Stimmung“ in den Raum. Ein Wort, das zum einen direkt mit Musik zu tun hat, beispielsweise werden Instrumente „gestimmt“. Zum anderen drücke Musik für viele Menschen in erster Linie so etwas wie Stimmung aus. Allerdings unbestimmt, vieldeutig - nicht so klar wie das eindeutige Wort.

„Menschen suchen in der Musik nichts Genaues“, meint Hansjörg Ewert, „sondern etwas Diffuses.“ Und unterliegen dabei einem produktiven Mißverständnis: „Musik ist nämlich zunächst ‚nichts'“. Was heißt, Musik bekommt ihre Bedeutung, ihre Stimmung erst durch nachträgliche Interpretation. Durch das, was Hörer darin angeblich hören. Oder durch das, was Komponisten „machen“, um eine Wirkung zu erzielen.

Wenn also Richard Strauss „Eine Alpensymphonie“ schreibt, dann will er mit dieser Musik Bilder und Stimmungen erzeugen. Allerdings: Die Musik selbst besteht nur aus Tönen, und die sind keineswegs schon Berge! Die Suggestion des strahlenden Sonnenaufgangs im Gebirge beispielsweise könnte mit einem anderen Etikett genauso das klingende Bild eines siegreichen Helden sein.

Wir hören in der Musik also das, was wir hören wollen und sollen. Und genauso ist es mit den Gefühlen und Stimmungen, die Musik vorgeblich in uns auslöst. Wir sind dabei allerdings in höchstem Maße kulturell geprägt. Denn wenn „wir“ eine bestimmte Harmonik als „traurig“ empfinden, dann nur, weil wir es so gelernt und verinnerlicht haben. Für Menschen eines völlig anderen Kulturkreises müssen „unsere“ traurigen Töne längst nicht traurig sein - umgekehrt sind wir kaum imstande, in japanischer oder indischer Musik tatsächlich Gefühlszustände herauszuhören.

Muss man also doch den Kopf mit einschalten beim Musikhören? Ist es mit dem Schwelgen allein nicht getan? Nun ja, man „muss“ es wohl nicht. Denn die Musik ist (wenigstens oft) da doch die geduldigste der Künste. Literatur, Malerei, bildende Kunst eröffnen sich einem kaum ohne Wissen und intellektuelle Anstrengung.

Für die Musik gelte, meint Dr. Hansjörg Ewert, was Mozart einst an seinen Vater geschrieben hat: Sie solle Kenner und Liebhaber gleichermaßen zufriedenstellen. Was heißt: Etwas von Musik zu verstehen, vertieft sicher den Genuss.

Aber wer nur genießt, kommt auch auf seine Kosten. Womit wir wieder bei den Festivals und Events mit den gesalzenen Preisen wären.

Bildnachweis: Simone Hainz, pixelio.de

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