Wer den Ton angibt… Überlegungen zu einem anachronistischen Phänomen

von Lothar Reichel (erschienen in Ausgabe 2/2010)

Die Würzburger Philharmoniker könnten sich durchaus vorstellen, dass bei ihnen eine Frau den Ton angibt. Zumindest Thomas Lampert, Soloklarinettist, Orchestervorstand, mit einer Geigerin verheiratet, sieht das so.

In absehbarer Zeit wird es dazu aber wohl nicht kommen. Denn gerade mal zwei Damen haben sich für den ausgeschriebenen Posten des GMD (in männlicher Form: Generalmusikdirektor) beworben und standen dabei über hundert männlichen Bewerbern gegenüber, keine der beiden ist ins engere Auswahlverfahren gekommen.

Das sei der Normalfall, meint Catherine Rückwardt, seit 2001 Generalmusikdirektorin am Staatstheater in Mainz, eine der sehr wenigen Frauen in Chefposition am Dirigentenpult. Sie selbst habe früher Bewerbungen mit so merkwürdigen Begründungen wie „Wir haben schon eine Frau als Regisseurin am Haus“ zurückerhalten.

Heute erheitert sie das eher, aber an der grundsätzlichen Situation ändert es nichts: das Dirigieren eines Orchesters ist nach wie vor fest in Männerhand. Frauen kommen hier sehr langsam und überhaupt nicht gewaltig.

Beim Gustav-Mahler-Dirigentenwettbewerb in Bamberg, der Ende Februar beginnt, waren von den ursprünglich 280 Bewerbern 48 weiblich – unter den zwölf ausgewählten Teilnehmern sind zwei Frauen, was jeweils einer Quote von rund 17 Prozent entspricht.

In Deutschland gibt es aktuell zwei Damen als Generalmusikdirektorinnen: Catherine Rückwardt und Simone Young in Hamburg. Und es dürfte weltweit immer noch viele Besucher von Konzerten und Opern geben, die noch nie eine Frau haben dirigieren sehen; denn auch jenseits der Chefpositionen sind Dirigentinnen überaus rar, obwohl an den deutschen Musikhochschulen inzwischen 25 Prozent der Studierenden im Fach Dirigieren Frauen sind. Und warum ist das so?

„Rufen Sie mich an, wenn Sie eine Antwort gefunden haben“, sagt Catherine Rückwardt lachend. „Ich weiß es nämlich auch nicht.“ Immerhin hat Deutschland eine Bundeskanzlerin, selbst in ausgemachten Männerdomänen wie der Verkehrsfliegerei sitzen inzwischen viele Frauen im Cockpit, Würzburgs Polizei hat seit Neuestem eine Chefin, in den Orchestern selbst musizieren an allen Instrumenten Damen – aber kaum ein anderer Beruf ist so sehr in Männerhand wie der des Dirigenten.

Thomas Lampert meint, es hänge einfach mit historischen Tatsachen zusammen, viele Orchester seien ursprünglich aus Militärkapellen hervorgegangen, das Musizieren sei eben lange Zeit reine Männersache gewesen. Tatsächlich fällt auf, dass es auch in der Musikgeschichte so gut wie keine weiblichen Komponistinnen gegeben hat und gibt – während beispielsweise Schriftstellerinnen sogar in voremanzipatorischen Zeiten nicht gerade selten waren. Deshalb am weiblichen Sinn für Musikalität zu zweifeln, ist Quatsch, grandiose Sängerinnen, Geigerinnen und Pianistinnen beweisen das Gegenteil – aber zumindest ein Teil der Musikwelt ist den Frauen bis heute weitgehend verschlossen geblieben.

Sowohl bei Thomas Lampert wie auch bei Catherine Rückwardt kommt rasch ein Wort ins Spiel: Macht. Ein Dirigent übt Macht aus, mehr oder weniger subtil. Nach seinen Vorgaben, seinen Ideen und Wünschen haben sich alle zu richten. Ein Orchester ist während der Proben und des Konzertes keine demokratische Angelegenheit. Und Machtausübung traut man eher Männern zu.

Es sei schon noch so, meint Catherine Rückwardt mit ziemlich viel Ironie in der Stimme: „Wenn da vorne ein Mann steht und den Taktstock schwingt, macht das für viele etwas anderes her. Macht macht sexy – aber nur bei einem Mann.“ Sie gibt ehrlich zu, dass sie auch nach so langen Jahren im Beruf bis heute Scheu und Lampenfieber habe, vor ein Orchester zu treten. Und das habe schon auch damit zu tun, dass sie eine Frau sei. Sie dirigiere auch äußerst selten in weiblicher Kleidung, trage eigentlich immer Frack oder Hosenanzug, Männersachen also...

Der Mythos vom Maestro – wie so viele Mythen diffus, unlogisch, aber langanhaltend mächtig in der Wirkung. Dabei gibt es die weibliche Form doch längst: Maestra...

Bildnachweis: Mario Trott

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