So schön und sinnlich kann reiner zeitgenössischer Tanz sein

von Michaela Schneider (erschienen in Ausgabe 02/2020)

Mit „Naked“ zeigen Tanzdirektorin Dominique Dumais und die Tanzcompagnie am  Mainfranken Theater, wie schön und sinnlich reiner zeitgenössischer Tanz sein kann.
Er hebt sie, er dreht sie. Der Körper eines Mannes und der Körper einer Frau scheinen zu verschmelzen. Aus zwei halb bekleideten Tänzern werden ein angezogener und ein nackter Körper. Dominique Dumais Choreografie „Naked“ feierte jetzt am Mainfranken Theater Premiere. Die Ballettdirektorin schenkt dem Würzburger Publikum mit ihrer Tanzcompagnie einen Abend voller Sinnlichkeit, hochästhetisch und konzentriert auf die reinste Form von Bewegung. Uraufführung gefeiert hatte „Naked“ im Jahr 2016 als letzter Teil einer Trilogie am Theater Mannheim.

Zugrunde liegt „Naked“ das System des Bewegungslehrers Frey Faust, dessen Schaffen sich an der menschlichen Anatomie und an natürlichen Formen orientiert. Die Idee: Alles in der Natur sei rund und geschwungen, geformt in Kurven oder Spiralen. Da ist etwa ein zarter oder ein freudig-schneller Kuss auf die Wange oder den Mund. Feinste punktuelle Berührungen, die sich vom kleinen Ausgangspunkt aus zu großen Wellen formen und den ganzen Körper in Bewegung setzen.

Fürs Bühnen- und Kostümbild zeichnet Tatyana van Walsum verantwortlich. Die Idee ist in ihrer Schlichtheit packend, die Raffinesse liegt im Detail: Bühnenhohe Vorhänge mit unterschiedlichen Durchgängen, mal mehr, mal weniger durchsichtig, aus verschiedenen Materialien, verdecken anfangs einen großen Teil der Bühne, fallen in den folgenden 75 Minuten, verwandeln sich in Requisite. Tanz und Bühne wurden von Beginn an als Einheit gedacht, diese komplettiert die Kanadierin Julia Kent mit ihren Kompositionen. Sie sitzt mit ihrem Cello – barfuß, im langen, schlichten Abendkleid - am Bühnenrand. Sie spielt live, nimmt gleichzeitig Loops auf – das Cello, Stimmen, Alltagsklänge – und erschafft Orchesterklänge.
Gestreckte, schöne Körper, jede Menge Hebefiguren: Mit „Naked“ zeigt Dominique Dumais, wie schön, wie hochästhetisch zeitgenössischer Tanz sein kann. Das Publikum jubelt am Ende jedem Tänzer, jeder Tänzerin einzeln zu, ein Teil dankt mit stehenden Ovationen.

Bildnachweis: Nik Schölzel

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