Lyriktag in Lohr a.Main verbindet Tradition, Vielfalt und persönliche Begegnung

von kk (erschienen in Ausgabe 02/2025)

„Gedichte schaffen ästhetische Erfahrungen, die Fäden durch die vertracktesten Labyrinthe ziehen“, so hat es der Dichter Alexandru Bulucz formuliert, der 2024 beim Lyriktag in Lohr a.Main gelesen hat. Was er damit meinte, zeigt sich jedes Jahr aufs Neue: Lyrik öffnet Räume, stellt Fragen, bietet Antworten – und wirkt unmittelbar auf Zuhörerinnen und Zuhörer.

Seit der Premiere 2022 hat sich die Veranstaltung zu einem festen Termin im Kulturkalender der Stadt Lohr a.Main entwickelt. Besucherinnen und Besucher, darunter viele, die zuvor kaum Berührung mit Poesie hatten, sind überrascht von der Vielfalt der Texte und der Intensität der Live-Auftritte. 2024 zählte der Lyriktag bereits über 250 Gäste – eine Zahl, die zeigt, dass Poesie auch jenseits der großen Städte ein Publikum findet.
 
Bühne für den ländlichen Raum

Der Lyriktag bringt renommierte Autorinnen und Autoren in eine ländliche Region, in der solche Veranstaltungen normalerweise kaum stattfinden. Während Literaturfestivals und große Lesungen oft in Metropolen zu Hause sind, schafft Lohr a.Main eine Bühne, auf der sich Publikum und Literaturszene begegnen. Für die Besucherinnen und Besucher bedeutet das die seltene Gelegenheit, mit bekannten Stimmen der Gegenwartslyrik direkt ins Gespräch zu kommen – in einem persönlichen, familiären Rahmen.

Initiiert und geleitet wird das Festival von Krystyna Kuhn, Schriftstellerin, Moderatorin und Gastgeberin. Als Autorin zahlreicher Romane bringt sie ihre eigene literarische Erfahrung in die Konzeption ein. Ihr Ziel: Lyrik lebendig, zugänglich und zugleich anspruchsvoll zu präsentieren. Sie versteht den Lyriktag als Ort der Begegnung – zwischen Schreibenden und Lesenden, zwischen Tradition und Gegenwart, zwischen Sprache und Musik. Es handelt sich um eine Veranstaltung des Verbandes deutscher Schriftsteller:innen Bayern. Sie wird gefördert vom Bayerischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, dem Kulturamt Lohr a.Main, der Sparkassenstiftung Main-Spessart sowie der Raiffeisenbank Main-Spessart eG. Die Eröffnung des Lyriktages am 29. November im Alten Rathaus in Lohr a.Main, Marktplatz 1, übernimmt der mehrfach ausgezeichnete Lyriker Yevgeniy Breyger, der in Wien lebt. Seine Rede markiert den Auftakt des Programms und gibt zugleich einen Einblick in die Gegenwart der deutschsprachigen Dichtung.
 
Kreative Kunst

Ein Schwerpunkt liegt in diesem Jahr auf der Erinnerung an Mascha Kaléko, deren 50. Todestag Anlass ist, ihr Werk neu zu entdecken. Schauspielerin Judith Jakob interpretiert gemeinsam mit einem Pianisten eine Auswahl ihrer Gedichte. Ein zweiter Akzent widmet sich der internationalen Dimension von Poesie: Der Leipziger Übersetzer Bradley Schmidt spricht in der Diskussionsrunde „Hilfe, ich werde übersetzt!“ über die (Un)möglichkeit, lyrische Texte in andere Sprachen zu übertragen. Übersetzungsarbeit wird hier nicht nur als Handwerk, sondern als kreative Kunst sichtbar.
 
Ganz nah an den Autoren dran

Musikalisch ergänzt wird das Programm durch den Posaunisten Michael Winkler von der Hochschule für Musik „Carl Maria von Weber“ Dresden. Was den Lyriktag von vielen anderen Festivals unterscheidet, ist das Prinzip der Nähe: Die Autorinnen und Autoren sind den ganzen Tag über anwesend, stehen für Gespräche zur Verfügung und nutzen die Gelegenheit, sich auch untereinander zu vernetzen. Dabei gilt das Motto „Kommen & Gehen“: Niemand ist gezwungen, den gesamten Tag zu bleiben. Besucherinnen und Besucher können einzelne Programmpunkte auswählen oder sich spontan treiben lassen. Dieses offene Format trägt entscheidend zur besonderen Atmosphäre des Lyriktags bei.
Newcomer treffen auf etablierte Stimmen, regionale Autorinnen und Autoren auf internationale Gäste – ein Spektrum poetischer Ausdrucksformen, das oft überrascht.

„Der Lyriktag ist für mich jedes Jahr ein besonderer Moment“, sagt Krystyna Kuhn. „Es ist erstaunlich zu sehen, wie sich Menschen, die vielleicht zum ersten Mal ein Gedicht hören, darauf einlassen – und wie die Texte Gespräche anregen. Genau darum geht es mir: Lyrik nicht als elitäre Disziplin zu zeigen, sondern als lebendige Kunstform, die uns alle berührt.“


Der Eintritt zum Lyriktag ist frei, ­Spenden sind willkommen.

Bildnachweis: privat

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