Klassisch gebildet, wie er nun einmal ist, kennt Lukurello natürlich den Ursprung des Wortes „Orientierung“. Er geht zurück auf das lateinische „oriens“, also Osten. Die Richtung des Sonnenaufgangs. Daher kommt dann auch der Orient, aber der ist heute nicht das Thema. Andere Gründe bewegen Lukurello zu solchen Wortklaubereien. Denn er ist neulich von Würzburg gen Osten gefahren und hat die Orientierung verloren. Dabei war in diesem Fall der Osten nur Rottendorf bzw. der herbstliche Wald am Rande des Ortes.
Das „Waldhaus
Leonhardt“ war sein Ziel,
aber im nebligen Dämmerlicht
übersah er alle Hinweisschilder,
fuhr im Kreise und fand partout
den schmalen Waldweg nicht, der
zum gepriesenen Gourmettempel
führt. Immer der Nase nach
ist bei Lukurello in solchen Fällen
dann die Devise, und die führte
schließlich zum Erfolg. Das Waldhaus
lag im diffusen Abendlicht
vor ihm, und die erste Erkenntnis
dämmerte: Dieses Lokal liegt idyllisch
versteckt und will gefunden
werden. Nicht die schlechtesten
Voraussetzungen also.
Zweite Erkenntnis gleich danach:
Offenbar kennen sehr viele den
Weg. Denn an einem normalen
Werktagabend im Oktober war
das Waldhaus gut besucht. Auch
das kein schlechtes Zeichen.
Dritte Erkenntnis: Die Idylle im
Wald ist ein komplexes bauliches
Gebilde mit vielen Räumen,
Stuben, einer Bar, einem Pavillon,
einem Wintergarten, einer
Scheune. Alles fränkisch-rustikal,
Landhausstil, ein wenig überdekoriert
vielleicht, aber gemütlich,
anheimelnd, einladend – für den
nebligen Herbstabend genau das
Richtige.
Nächste Erkenntnis: Auch die
Speisekarte ist ein komplexes Gebilde
voller Winkel und Unübersichtlichkeiten.
Man könnte auch
sagen: Kraut und Rüben. Da gibt
es Menüs und Tagesgerichte bunt
durcheinander, Vorspeisen und
Suppen mal auf der, mal auf der
anderen Seite. Die Orientierung
fällt schon wieder schwer.
Doch dann eine weitere Erkenntnis: Die Speisekarte ist durchaus interessant, die Gerichte wollen nur gefunden werden. Regionale und saisonale Küche, entsprechend fällt die Bestellung aus. Eine Linsensuppe mit Gänsebruststreifen für Lukurello, ein Rindercarpaccio für seine Begleitung. Der Hauptgang besteht zum einen aus gebratener Gänsebrust mit Klößen und Wirsing, zum anderen aus einem Feldhasenfilet in Sauerkirschsoße samt Pfifferlingen und Speckrosenkohl. Das ist fränkisch und herbstllich und passt zum Ambiente. Zusammenfassende Erkenntnis: Eine sehr bodenständige, leckere Linsensuppe verträgt sich nicht ohne weiteres mit Gänsebruststreifen, da fehlte dem Koch ein wenig die Orientierung. Alles weitere war ohne Fehl und Makel, wunderbar auf den Punkt gegart, geschmacklich überzeugend abgerundet. Ein geglücktes Experiment: die Sauerkirschsoße zum Hasenfilet. Wunderbar fränkische Desserts, ein Winzergrießbrei, wohl mit Silvaner verfeinert, eine Traubenmousse – das zeugt von Ideen und dem Bestreben, östlich von Würzburg eine gehobene Küche zu bieten, die das Bodenständige zum Fundament hat, dieses Bodenständige dann gekonnt verfeinert, ohne artifiziell und albern zu werden. Und dazu sind die Essensportionen so bemessen, dass man und Mann wirklich satt wird. So soll es sein.
Abschließende Erkenntnis: Auch das Portemonnaie freut sich zum Schluss, denn die Qualität hat im „Waldhaus“ einen erfreulich überschaubaren Preis. Lukurello jedenfalls hat den Weg durch den Wald gefunden und wird sich in Zukunft sicher immer wieder mal Richtung Osten orientieren, bereit zu weiteren Erkenntnissen.