Lukurello denkt über Worte nach und speist im „Gasthof Russ“ in Würzburg

von Lukurello (erschienen in Ausgabe 3/2010)

Klassisch gebildet, wie er nun einmal ist, denkt Lukurello gerne über die Bedeutung lateinischer Sentenzen nach. Zum Beispiel geht ihm immer wieder einmal „Nomen est omen“ durch den Kopf, wenn er seiner Lieblingsbeschäftigung nachgeht und Stätten des lukullischen Genusses besucht. „Der Name ist ein Zeichen“, von Plautus überliefert – gilt das auch für die Namen von Restaurants, Lokalen, Gaststätten, Gasthöfen, Trattorias, Osterias, Pizzerias, Kneipen, Imbissen, Pubs und Wirtschaften? Und sagen schon allein diese vielen Bezeichnungen etwas aus über das, was Lukurello dann erwartet? Isst man in einem Restaurant anders als in einem Gasthof? Als er mit seiner Begleitung kürzlich den „Gasthof Russ“ in der Würzburger Wolfhartsgasse betrat, stellte er solche Überlegungen wieder einmal an. Gut, „Russ“ ist in diesem Fall ein Familienname; das Haus wird seit 1909 in fünfter Generation im Familienbesitz geführt, und lediglich Margot Mülller vom RichardWagnerVerband könnte da noch eine andere Assoziation haben: Russ hieß nämlich der Lieblingshund Richard Wagners, der in Bayreuth neben dem Grab des Meisters einen eigenen Grabstein hat. Aber das ist nun wirklich eine sehr weite kulturgeschichtliche Abschweifung. Zurück nach Würzburg… Den „Gasthof Russ“ betritt man quasi durch ein großes Wandgemälde, das dem Gast allerlei kulinarische Freuden verspricht. Und da stellte sich Lukurello dann wieder einmal die erwähnte Frage: Steht das schöne, deutsche Wort „Gasthof“ für etwas anderes als beispielsweise „Restaurant“? Nun, das Interieur des „Gasthofes Russ“ verweist schnörkellos auf das Eigentliche: Die Tische sind e l e g a n t g ede c k t und laden zum Essen ein. Punkt. Hier bei einem Glas Wein nur zu plaudern käme einem kaum in den Sinn. Die Speisekarte war dann etwas überraschend: Durchaus ein interessantes, vielfältiges Angebot, aber fast auf jeder Seite waren Gerichte mit Bleistift lieblos durchgestrichen, und bei der Spezialität des Hauses, Bergkräuterochsenfleisch aus Österreich, verkündete ein Zettel, dass die Spezialität zur Zeit nicht zu haben sei. Betroffenheit bei der Wirtin: Die Österreicher könnten im Moment nicht liefern. Aber das sei nur eine Sache von Tagen... Gut, Lukurello nahm sich vor, dem Bergkräuterochsenfleich demnächst gesotten oder gebraten noch eine zweite Chance zu geben und wählte Gasthofklassisches: Leberknödelsuppe und eine halbe Ente mit Klößen und Blaukraut. Seine Begleitung kombinierte ein Tessiner Käsesüppchen mit einem Schweinerückensteak samt Kartoffelgratin und Salatteller. Um auf die Philosophie über „Nomen est omen“ zurückzukommen: Wer in einem deutschen Gasthof solches bestellt, darf solide Kost erwarten; etwas, das man früher gern mit „gutbürgerlich“ bezeichnete. Im „Gasthof Russ“ war es mehr als solide; aus der Küche kam auf gehobenem Niveau gekonnt zubereitetes Essen, schnörkellos und ohne Schnickschnack. Die Ente entbeint, mit krosser Haut, die nicht übersalzen war; vorzügliche Kartoffelklöße, ein auf den Punkt gebratenes Steak, ein äußerst frischer Salat, bei dem der Küchenchef Sensibilität bewies, weil er dem Chicorée ein eigenes, süßliches Dressing zuwies, um eventueller Bitterkeit vorzubeugen. Das alles schmeckte ohne Wenn und Aber sehr gut. Der „Gasthof Russ“, dem ein Hotel angeschlossen ist, nimmt dafür durchaus auch gehobene Preise, doch Lukurello gewann den Eindruck: Es lässt sich hier gepflegt speisen, es gibt eine Reihe nicht alltäglicher fränkischer Weine, die Atmosphäre wäre mit neutralgediegen zu beschreiben, und das Ochsenfleisch von einer Bergkräuteralm auf 700 Meter Seehöhe harrt noch der Entdeckung.

Bildnachweis: Mario Trott

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