Große Retrospektive zu Clemens Gröszer in Aschaffenburg

von Renate Freyeisen (erschienen in Ausgabe 3/2021)

Eine umfassende Retrospektive mit über 90 Werken des Berliner Malers Clemens Gröszer (1951-2014) würdigt bis 25. Juli 2021 im Aschaffenburger Schlossmuseum das Schaffen dieses Künstlers zwischen figürlicher Darstellung, expressivem Realismus und irgendwie surrealer Metaphorik.

Vieles erscheint rätselhaft, erinnert aber an Destruktion unseres Alltags oder der alltäglichen Wahrnehmung. Verwandtschaft zu Otto Dix, Max Beckmann oder Volker Stelzmann ist zu ahnen. Es ist eine Welt zwischen Skepsis und melancholischer Sicht auf den Menschen, geprägt von Gefährdung durch Destabilisierung der gewohnten, kulturellen Sichtweisen.

Grözser widmete sich nach dem Studium an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee zuerst der Landschaftsmalerei. Sein eigentliches Interesse aber galt den Menschen, den Vertretern der Subkultur wie Punks oder Prostituierten und dem Leben in der Großstadt, bei sinnlos anmutenden gesellschaftlichen „Events“ oder hektischem Treiben wie auf einem Maskenball, einem Danse macabre, so auf dem Triptychon Big Paradise II (1994/96).

Gröszer zeigt den Menschen als Vereinsamten trotz der Betriebsamkeit um ihn herum, als freudlos in einem Wirbel scheinbarer Vergnügung, auch auf Abwehr bedacht, fast abstoßend mit überstarker Schminke oder als Nachtgestalt in schwarzem Leder. Selbst die Akt-Darstellungen weisen hin auf fast puppenhaft unnatürliche Inszenierung von lebloser Schönheit. Sozusagen im „Spiegel“ sieht der Maler die Kehrseite des Menschen, nackt von hinten, ohne dass er sich wirklich sieht; eine Maske deutet an, dass seine Wahrnehmung gestört ist.

Das Leben ist also ein „Zimmer ohne Aussicht“ (1981/95), wo der Mensch als verkapseltes Wesen inmitten von künstlich-starrer Umgebung sitzt. Dazu passt, dass auf dem Triptychon „Grand Café“ (207/11) Karl Lagerfeld zu erkennen ist inmitten von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, in einer Versammlung von scheinbar wichtigen Leuten, allesamt Vertreter einer hohlen Generation von Bedeutsamkeit, in der sich das Miteinander auf Äußerlichkeit beschränkt. Auch sich selbst schildert der Künstler z. B. 2011 auf einem seiner Selbstbildnisse als Skeptiker mit misanthropischem Blick. Seine Porträts von Schauspielerinnen, Schriftstellern, Mannequins oder Personen aus dem engeren Freundes- und Familienkreis strahlen durch die altmeisterliche Lasurtechnik Klarheit aus.

Er zitiert auch große Vorbilder wie Grünewald oder Cranach; so wird auf dem Triptychon des „Dresdner Altars“ (1984/2004) eine Kreuzigung als „Fragment“ dargestellt, mit einem ausgemergelten Christus neben einem sitzenden Akt, auf den Seitenflügeln begleitet von befremdlichen Akt-Figuren vor surrealem Hintergrund; zugeklappt zeigt der Altar eine nächtlich-apokalyptische Leere. Beim „Abendmahl“ (2007) sitzen Leute um eine auf dem Kopf stehende, aufgebahrte, seltsame „Dame“. Auch das ein Hinweis auf eine „verkehrte“ Welt, bei der sich das Sakrale zu Profanem verschiebt und umgekehrt.

Bildnachweis: Ludwig Rauch

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