"Standortbestimmung", Abbildung des Ist-Zustandes, das war die Angelegenheit von Felix Nussbaum.

von Susanna Khoury

Ob heimische Idylle in Osnabrück oder künstlerischer Erfolg in Berlin, ob Orientierungslosigkeit im Exil oder Isolation im Untergrund, ob Angst im Internierungslager oder sicherer Tod in Ausschwitz. Das Werk des 1904 in Osnabrück geborenen Malers ist Zeitdokument, bisweilen Widerstandshandlung, eines vom Holocaust betroffenen Juden in Europa.

Als zweiter Sohn des jüdischen Eisenwarenhändlers Philipp Nussbaums und seiner Frau Rahel wird Felix Nussbaum am 11. Dezember 1904 in Osnabrück geboren. Im Umfeld gutbürgerlicher Verhältnisse und durch die Hobbymalerei seines Vaters umgibt ihn stets ein Hauch von Boheme - was nicht ohne Folgen bleibt. 1922 verlässt der eher schlechte Schüler Nussbaum, ohne Obersekundarreife, die Schule, um zunächst in Hamburg, dann in Berlin Kunst zu studieren. Während in seinen ersten Bildern (um 1925) noch stark der Einfluss der väterlichen Kunstauffassung, vor allem der van Goghs, herauszulesen ist, gewinnen in der Berliner Zeit immer mehr Maler wie Henri Rousseau, Giorgio de Chirico oder Carl Hofer an Bedeutung. Als Meisterschüler von Hans Meid hat Felix Nussbaum 23-jährig seine erste Einzelausstellung. Zwei Jahre später mietete er ein Atelier, nicht zuletzt, um aller Welt zu demonstrieren, dass er jetzt richtig offiziell Maler ist. Und es funktioniert. Wohlwollende Kritiken über den jungen Nussbaum häufen sich und 1932 erhält er ein Stipendium für die Deutsche Akademie, Villa Massimo, in Rom.

Auf dem Weg ins Exil

Eigentlich zog es ihn nicht unbedingt dorthin, "wo alles so archäologisch" ist. Dennoch schlug er die Einladung nach Rom nicht aus. Seine Lebensgefährtin, Felka Platek, eine polnischen Malerin, die er bereits 1924 in Berlin kennengelernt hatte, begleitete ihn. Während dessen spitzten sich die Verhältnisse in Berlin zu: Ein unmissverständliches Zeichen der neuen Machthaber war die Bücherverbrennung. Als Nussbaum erfuhr, dass in seinem Berliner Atelier in seiner Abwesenheit ebenfalls 150 Bilder, quasi sein gesamtes Frühwerk, aus Versehen verbrannten, sah er das als persönlichen Affront gegen sich. Die Zerstörung der abendländischen Kultur durch das Nazi-Regime machte er von nun an zum Titel-Thema seiner Bilder. Um seine Orientierungslosigkeit und auch seine Angst zu visualisieren, bedient er sich des Formen-Repertoires de Chiricos. Düstere Farben bestimmen immer mehr sein Werk. Er wählt die "touristische Emigration" und fährt zunächst an die italienische Riviera, um nicht nach Deutschland zurückkehren zu müssen. In Alassio und Rapallo malt er Bilder außerordentlicher Harmonie. Erstmals verwendet er hier auch die Gouache-Technik in seinen Bildern.

Leben in der Emigration

Die Angst um seine Eltern in Deutschland, die nicht emigrieren wollen, veranlasst ihn immer wieder zu bedrohlicher Farb- und Motivwahl als Metapher für seine Verunsicherung und seine Ängste. Die Anlehnung Italiens an Nazi-Deutschland treibt den Künstler der erst in den 70er Jahren unseres Jahrhunderts wieder entdeckt wurde, über die Schweiz und Frankreich nach Belgien. Im belgischen Exil bekommt er zunehmend die Bedingungen der Emigration zu spüren. Ein Gefühl der Sinnlosigkeit künstlerischen Schaffens macht sich bei ihm breit. Er gerät in die Krise. 1937 übersiedelt Nussbaum von Ostende nach Brüssel, wo er als deutscher Jude 1939 den Beginn des Zweiten Weltkrieges miterlebt. Als wehrfähiger Deutscher wird nach dem Einmarsch seiner Landsleute am 8. Mai in ein Lager nach St. Cyprien deportiert. Nach drei Monaten gelingt ihm die Flucht. Die Bilder der folgenden Jahre sind durch seinen Lageraufenthalt geprägt. Nach seiner ganz persönlichen Farbenlehre ist "Grün" die Farbe des Todes.

Das jüdische Schicksal

Nach dem 28. Mai 1942 ("Judenstern-Erlass") begann die Verfolgung und Deportation der Juden in Vernichtungslager. Die Gestapo sucht Nussbaum. Der Maler ist jetzt mehr denn je Protokollant seiner Zeit. Seine Bilder werden zum Tagebuch seiner Isolation. In einer Kellerwohnung des befreundeten belgischen Bildhauers Dolf Ledel finden Nussbaum und seine Frau vorübergehend Unterschlupf. Gezielte Denunziation vereitelt am 20. Juni 1944 ihre Pläne. Beide - Nussbaum und seine Frau - werden verhaftet und abtransportiert. In seinem "Selbstbildnis mit Judenpass" (nach August 1943) leistet er zumindest noch in seiner Kunst Widerstand. Nun ist er zwecklos. Mit den letzten von 26 Deportationszügen kommen die Nussbaums über das Sammellager Mechelen am 31. Juli 1944 nach Auschwitz, wo sie vergast werden. Am 3. September 1944 marschieren die Alliierten in Brüssel ein.

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