Mitwisser im E.T.A.-Hoffmann-Theater Bamberg

von Tim Förster (erschienen in Ausgabe 5/2019)

Seltsam ungelenk, des eigenen Körpers scheinbar nicht mächtig, kriechen die fünf Darsteller aus dem Bühneninneren ins Blickfeld der Zuschauer und kommen in Haufenformation zum Stehen.

Ihnen scheint kein Rückgrat gewachsen zu sein, es sind windige Gestalten. Im schlichten Kontext zweier beweglicher und mit Leuchtketten durchzogener Trennwände wird die Gruppe den Abend bestreiten. Sie sind die „Mitwisser“ in Enis Macis gleichnamigem Bühnenstück, Zeugen, Eingeweihte oder Teilhaber von Verbrechen. In den nächsten anderthalb Stunden werden sie sehr textlastig drei schreckliche Ereignisse schildern, die sich in dieser Art real ereignet haben: Ein Teenager in den USA erschlägt seine Eltern, um im Anschluss eine Hausparty zu feiern; eine junge türkische Frau wird von einem Verwandten vergewaltigt und übt Selbstjustiz an ihrem Peiniger; ein junger Ruhrgebietler findet in den dunklen Windungen des Internets zu Rassismus und religiösem Fanatismus.

All diese Fälle sind grausam, weiß die Autorin, welche in der letzten Zeit vermehrt als Nachwuchstalent von sich Reden machte und „Mitwisser“ am Schauspielhaus Wien uraufführen durfte. Doch warum eigentlich, so die Kernfrage ihres Werkes, stehen immer nur die Vollstrecker vor Gericht? Ist nicht dahinter ebenso die Gemeinschaft der Gaffer, Querulanten und Machtgeilen Teil der weltweiten Verbechensdynamik? Schließlich genügt keine Tat sich selbst, es gibt immer auch ihre Wahrnehmung, ihre nicht erfolgte Verhinderung, ihre Motivation durch Dritte.

Dieser Gedanke ist nicht neu. Doch Maci geht einen Schritt weiter und fragt: Drängt nicht auch die Gesellschaft als Ganze durch all ihre Seinszwänge und Rollenbilder die Täter ganz unbewusst in vermeintliche Handlungsnot und mischt dadurch kräftig mit? Neben einzelnen Anstiftern walten so in „Mitwisser“ düstere Wirkmächte der Gesellschaft, deren Ursprünge kaum erkennbar und damit für das Gesetz nicht greifbar sind. Das Stück widmet sich dem jahrtausendealten Thema des Verbrechens mit Anleihen beim griechischen Dramenstoff, vermengt mit Passagen zum modernen Organ Internet. An motivischer Vielfalt, Größe und cleveren Gedanken mangelt es nicht, wohl aber an etwas struktureller Bindung. Die Darsteller vollführen eine nicht zu verachtende, aber zueilen auch sichtlich anstrengende Textarbeit. Der Zuschauer ist stark gefordert, all jene Beiträge zu ordnen. Doch wenn er sich auf diesen Kraftakt einlässt, ist „Mitwisser“ – vermutlich im Laufe einer den Theaterabend beschließenden Gesprächsrunde – so manches abzugewinnen, worüber sich zu sprechen lohnt.

Bildnachweis: Martin Kaufhold

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