Der Brandner Kaspar bei den Calderón-Spielen in Bamberg

von Tim Förster (erschienen in Ausgabe 7/2019)

Spielt man einen Klassiker, muss man damit rechnen, dass der Zuschauer Vergleiche mit anderen Inszenierungen anstellt. Und derer mangelt es im Falle des „Brandner Kaspar“ nicht gerade. Das gilt für die Bühne und den Film.

Doch der Stoff um den raffinierten Greis aus dem Alpenland, der dem leibhaftigen Tod beim Kartenspielen 18 weitere Lebensjahre abluchst und so ein bürokratisches Durcheinander im Himmel verursacht, ist viel mehr als ein Klassiker. Er ist Kult und wie das mit Kulterscheinungen so ist, will das Publikum nicht gänzlich mit Neuem überrascht werden, sondern ein Stück weit das sehen, was es kennt und erwartet. Aber es darf kein billiger Abklatsch sein, sondern immer noch ein eigenes Produkt mit neuem Charme. Eine gute Portion Altvertrautes also, aber mit frischem Gewand. Ein schwieriger Spagat, an dem leicht zu scheitern ist. Das ETA-Hoffmann-Theater vollführt ihn erfolgreich – und wie.

Da wäre zunächst das Bühnenbild: Unterzubringen sind diverse Waldszenen, die heimische Stube des Kaspar und der Himmel samt Pforte. Dank einiger weniger beweglicher Elemente ist der Umbau jeweils schnell und unspektakulär vollzogen. Dem Publikum der traditionell hochunterhaltsamen Sommerspiele wird auf zwei Stockwerken ein buntes und authentisches Schaubild geboten, doch ohne die Bühne mit Dingen zu überladen, die vom Spiel ablenken.

Nun ist es an den Darstellern, diese gelungene Kulisse mit bayerischem Flair zu füllen. Auch wenn Hauptdarsteller Klaus Wildermuth als geborenem Oberbayer der Dialekt ein wenig leichter von den Lippen geht als den meisten seiner Mitspieler, gelingt auch das. Tracht, Dorfklüngeleien und alpenländische Treibjagd wirken inmitten der Bamberger Alten Hofhaltung nicht einmal fehl am Platze. Wildermuth ist ein starkes Zentrum der Erzählung. Zuerst rüstiger Kämpfer in einem Leben, das es ihm nicht immer leicht macht, später in der Begegnung mit dem Tod, dem Boandlkramer, raffinierter Spieler zwischen Verzweiflung und Abgeklärtheit, nach Wiedergewinn seines Lebens verschmitzter Lebemann und liebender Familienmensch.

Mindestens ebenso großes Lob verdient Katharina Brenner, deren Einsatz in den vergangenen Spielzeiten schön öfter zu bewundern war. Ihre Figur ist hässlich und abstoßend, dazu verflucht, die werdenden Toten durch Regen und Sturm in den Himmel zu bringen, frierend, von allen gefürchtet und gehasst und daher gleichzeitig auch bemitleidenswert. Brenner widmet sich der Darstellung dieses so paradoxen Wesens ohne Berührungsängste und voller Selbstironie. Es mag Schauspieler geben, die von sich selbst nicht loslassen können, deren eigenes Gesicht aus jeder Rolle herausscheint. Bei Brenner ist das nicht der Fall.

Die Szenen auf der Erde sind traditionell so, wie das Leben eben spielt: Dramatisch, bewegungsreich, voller Entbehrungen und Schicksalsschläge, doch ebenso voller Feierlust und Liebe. Der Himmel ist auch in der Bamberger Inszenierung von Regisseurin Susi Weber Ort schreiend komischer Szenen, oft selbst innerhalb der karikaturistischen Grundidee an der Grenze zur Überzeichnung, versteht sich (doch will man hier wirklich mit Spitzfindigkeiten hantieren?), aber gerade dadurch durchweg ein Genuss. 

Bildnachweis: © Martin Kaufhold

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