Uraufführung in Bamberg: „Leere Herzen“ von Juli Zeh aus dem Jahr 2017

von Tim Förster (erschienen in Ausgabe 2/2019)

 Die Zulieferer des Terrors. Ewa Rataj, Anna Döing und Marcel Zuschlag in der Selbstmordplanung. Foto: Martin KaufholdÜber ein Jahr ist vergangen, seitdem Michel Houellebecqs „Unterwerfung“ über die Bühne des ETA Hoffmann-Theaters gegangen ist und dem Zuschauer einen bitter-satirischen Blick auf die nähere Zukunft ­Europas erlaubt hat. Nun ist die Romanvorlage einer deutschen Autorin Anlass, den gesellschaftspolitisch hochaktuellen Kurs des Bamberger Hauses fortzuführen, diesmal sogar mit einer Uraufführung.

Juli Zeh schrieb 2017 „Leere Herzen“ über ein dystopisches Deutschland nach der Merkel-Regierung. Die Wutbürger haben sich ihren Weg von den Marktplätzen in die Regierung erkämpft und führen dort als „besorgte Bürger“ die Geschicke eines Landes, welches das Vertrauen in Demokratie längst verloren hat. Die Bevölkerung lebt zurückgezogen und bloß auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Das Wahlrecht ist weniger wert als eine neue Waschmaschine. Der Ekel vor dieser Gleichgültigkeit soll den Leser und Zuschauer weitaus mehr beherrschen als die Parolen der Rechten und tut es auch dank gründlich ausgeführter Figurenarbeit hinter und auf der Bühne.

So ist die Hauptfigur Britta Söldner, gespielt von Ewa Rataj, die Inkarnation all dessen, was den bequemen Mittelständler ausmacht und noch mehr: Britta führt eine psychotherapeutische Praxis für potenzielle Selbstmörder, die ihren Patienten allerdings anstelle einer Behandlung die Vermittlung an diverse Terrororganisationen anbietet und das Land so mit Attentätern versorgt. Ihren Mann Richard lässt sie darüber im Dunkeln und verzichtet überaus erfolgreich auf Prinzipien, die sie vielleicht einmal hatte. In dem Glauben, eine Gesellschaft brauche die reinigenden Impulse tödlicher Statements und die Struktur professionellen Terrors, hält sie ihren Einfluss für gewinnbringend, bis eine neue Organisation in ihren Markt eindringt.

Die perfide Geradlinigkeit Brittas in ihrem Tun wird von Rataj mit ein paar Textwacklern, doch kompromisslos und deshalb authentisch übernommen. Mal ist sie gewissenlose Geschäftsfrau, mal liebende Mutter. Die Inszenierung ist deutlich farbiger, als der Plot es vermuten lässt. Die Terrormeldungen aus den Nachrichten erreichen eine fröhliche Familie beim Essen mit Freunden, die Kinder spielen vergnügt auf der Couch. Kleine Kunstgriffe sorgen für strukturelle Bewegung und machen das Stück zu einer kurzweiligen und bunten Gesamtkomposition: Die Bühne wird für wenige Szenen durch den Vorgarten des Theaters erweitert, auf den man durch die Glasfassade blicken kann. Wird vorne ein Monolog gehalten, führen die Darsteller im Hintergrund ihre Szene stumm und in Zeitlupe fort. Stefan Herrmann erscheint in drei Rollen und sorgt für Unbekümmertheit, ebenso wie er das Figurenaufgebot um kafkaeske Tricksterelemente bereichert. All das schafft ironische Distanz zum erschreckenden Grundgedanken eines entarteten Deutschlands, in dem der Freitod verwöhnten Bildungsbürgern ein Geschäft und der sogenannten Politik ein Werkzeug ist. Deutlich wird dennoch, dass sich der Gedanke an aktiv gelebte Demokratie lohnt. Ein unterhaltsames Schreckensbild.


Karten unter Telefon 0951.873030



Bildnachweis: © Martin Kaufhold

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