Der Schauspieler Ingo Klünder - ein Wanderer zwischen den Welten

von Susanna Khoury

1967 gab Ingo Klünder sein Debüt als Schauspieler.

In "Also, sprach Zarathustra" (1883) heißt es "Im echten Manne ist ein Kind versteckt, das will spielen", daher sei es dem Schauspieler Ingo Klünder nach einem halben Jahrhundert Geburtstage gestattet, sein kindliches Gemüt auszupacken und neu das Zählen anzufangen. Auch das "Enfant terrible" nimmt man ihm ab, wenn er nach neuer Zeitrechnung am 7. Juli 2002 seinen 10. Geburtstag feiert. Happy Birthday, Ingo!

Nicht nur privat, auch bühnentechnisch ist 2002 für Ingo Klünder ein Jahr der Jubiläen. Musiktheater steht seit 25 Jahren bei ihm auf dem Spielplan und seinen allerersten Auftritt auf der Bühne hatte er vor 35 Jahren. Aber davon soll nur am Rande die Rede sein. Über seine Erfolge und Rollen wurde bereits viel geschrieben. Hier soll der Mensch Ingo Klünder ins Rampenlicht gerückt werden, mit seinen kleinen Schwächen, seinen Ansichten, Wünschen und Träumen. Ingo Klünder quasi ganz privat, wobei sich die Frage aufdrängt, ob nach so vielen Rollen "privat" nicht nur als weiterer Charakter auf seiner Besetzungsliste steht? "Ich behaupte, mich gibt es ganz privat", sagt der Mime, "aber das ist meine persönliche Einschätzung. Ich weiß auch, dass ein Beruf, den man so lange ausübt, einen prägt. Aber was ich nie tun würde, ist mich zu verstellen, bewusst spiele ich privat keine Rolle."

Seine erste große Rolle hatte er in Christopher Frys Stück "Der Hirt mit dem Karren - der Heilige von Sussex" mit einem Tourneetheater in der Schweiz. Seitdem hat ihn die Scheinwelt des Theaters in ihren Bann gezogen. "Es fing mit einer Idee an, meine Eltern waren dagegen, ich wollte es unbedingt und will es bis heute, Schauspieler ist ein wunderwunderschöner Beruf."

"Der Schein soll nie die Wirklichkeit erreichen. Und siegt die Natur, so muss die Kunst entweichen." -Schiller-

Wofür andere ein ganzes Leben brauchen, das durchlebt ein Schauspieler in einer Spielzeit. Komprimiert in zwei Stunden lebt er das Leben des Mannes von La Mancha, der seinen unmöglichen Traum träumt an einem Tag und am nächsten Tag schlüpft er in die Rolle des Znorko, des menschenverachtenden Schriftstellers aus Eric-Emmanuels Schmitts "Enigma" und spielt diese Rolle mit allen Emotionen, die dazugehören. "Es ist eine andere Welt, in die man einsteigt, wobei man kein Menschenhasser sein muss, um den Znorko spielen zu können, niemanden umgebracht haben muss, um überzeugend den Mörder rüberzubringen und auch mit seiner Schauspiel-Partnerin nicht in die Kiste gegangen sein muss, um eine tolle Liebesszene hinzukriegen", so Klünder. Es ist alles nur Theater und doch auch Wirklichkeit. Was einen wirklich guten Schauspieler ausmacht? Er muss seine Rolle leben. "Ein Kleiderständer, der seinen Text aufsagt, das genügt nicht, um den Funken zum Publikum überspringen zu lassen", meint Ingo Klünder. Apropos zwei Welten - wie funktioniert das Hin- und Herwandern?

Wie bei seinem großen Vorbild Gérard Philipe wohnen zwei Seelen in seiner Brust - dies hat möglicherweise auch mit seinem Sternzeichen Krebs zu tun. "Auf der einen Seite bin ich ein sehr bodenständiger Mensch, hege und pflege mein Zuhause und brauche meine Familie um mich herum und auf der anderen Seite ist es die Welt des Theaters, die ich von ganzem Herzen liebe, ohne die ich mir mein Leben nicht vorstellen könnte. Und dort bin ich ganz Künstler mit allem, was dazu gehört", resümiert der Vollblutschauspieler. Neben Theater und Familie setzt er ganz auf Lebensart, fährt Oldtimer und Harley, wenn bisweilen auch nur zum Spargelholen und reist gerne durch die Welt.

Einen ganz großen Traum hat er sich vor zwölf Jahren erfüllt mit dem Kauf eines alten Bauernhauses in Frankreich. "Und dieser Traum ist noch lange nicht ausgeträumt. Da gibt es ständig noch zu bauen, abzuschleifen, anzulegen und hinzuzufügen", schwärmt der Frankreichliebhaber. Hier tankt er Kraft für seine Arbeit und erholt sich beim Laisser-faire des Savoir-vivre der Franzosen.

Vor fast 40 Jahren war es ein Frankreich-Aufenthalt, der ihn sein Maschinenbaustudium schmeißen und sich für ein anderes Leben entscheiden ließ und auch heute noch ist er seiner alten Liebe Frankreich treu. "Ich musste jobben, um mir die Schauspielschule in Berlin zu finanzieren und die Tatsache, dass meine Eltern so gegen den Ausstieg aus einem bürgerlichen Leben waren, spornte mich erst recht an", erzählt Ingo Klünder. Er träumte den unmöglichen Traum... "Ich würde heute niemandem guten Gewissens mehr raten, den Beruf des Schauspielers zu ergreifen, wegen der schlechten Situation an deutschen Bühnen. Außer jemand will es unbedingt mit jeder Faser seines Herzens, dann muss er es probieren - wie ich damals." Willenskraft, Geradlinigkeit, langer Atem, bisweilen Ellenbogen, aber auch sehr viel Feingefühl, das sind die Eigenschaften, die den Menschen und den Mimen Klünder auszeichnen.

"…und lebt den unmöglichen Traum" - aus der Mann von La Mancha -

Auf der einen Seite bin ich hoch sensibel und andererseits habe ich solche Ellenbogen, bin ganz bodenständig und verlässlich und auch mal ganz verrückt, introvertiert und extrovertiert zugleich." Sein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden lässt ihn, auch wenn es ihm selbst schadet, für andere eintreten. Um das Ganze jetzt ein bisschen zu relativieren, er kann auch anders: "Wenn mich jemand richtig gekränkt hat, dann werde ich zum Kamikazeflieger, und das kann nach Jahren passieren, wenn der andere gar nicht mehr dran denkt." Mit offenem Visier, aber leidenschaftlich ficht er seine Kämpfe aus. "Liebe ist für mich eine Antriebsfeder, die Liebe zu meinem Beruf, die Liebe zum Partner und die Liebe zum Leben - ohne sie geht gar nichts." Und wer kann schon auf die Frage "Wenn Du die Zeit zurückdrehen könntest, was würdest Du alles anders machen?" sagen: "Eigentlich gar nichts!"?

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