Im Gespräch mit Dr. Christof Wahlefeld über die Zukunft des Theaters

von Susanna Khoury (erschienen in Ausgabe 05/2023)

Um den spanischen Bildhauer, Grafiker und Maler Pablo Picasso zu zitieren: „Wenn es nur eine einzige Wahrheit gäbe, könnte man nicht hundert Bilder über dasselbe Thema malen.“ Die Wahrheit ist genauso vielschichtig wie die Wirklichkeit und jede/r fokussiert anders, nimmt andere Facetten wahr - je nach Herkunft, Sozialisation, Alter oder Erfahrungen, die er/sie gemacht hat. Demzufolge kann es die absolute Wahrheit nicht geben, da jeder Mensch eine andere Wahrnehmung der Welt hat und auch eine andere Rezeption der Dinge, die in dieser Welt geschehen, inklusive der Dinge, die sich auf der Bühne eines Theaters abspielen.

Das sieht auch der studierte Germanist und Literaturwissenschaftler Dr. Christof Wahlefeld, seit gut einem Jahr Intendant des Schweinfurter Theaters, so. „Schweinfurt hat rund 55.000 Einwohner, wenn man das Landkreispublikum dazuzählt, kommen wir auf etwa 120.000 potenzielle Theatergänger:innen. Jede:r hat individuelle Vorstellungen, wie Theater sein sollte. Ich werde nicht alle befriedigen können“, sagt der 40-jährige, der seine Karriere an den Städtischen Bühnen Krefeld und Mönchengladbach startete, danach als Dramaturg an den Theatern Coburg, Lüneburg und Hildesheim arbeitete, bevor er von Bielefeld, wo er künstlerischer Betriebsdirektor war, nach Schweinfurt wechselte.

Der neue Leiter des Theaters Schweinfurt sieht allen Unkenrufen zum Trotz die Zukunft des Theaters optimistisch. Er glaube daran, dass sich Shakespeare neben Netflix behaupten kann. „Aber dafür müssen auch alle Theatermacher jetzt in Bresche springen und die Einzigartigkeit eines Theatererlebnisses promoten.“ Und vor allem darauf achten, dass auf der Bühne eine gute Geschichte erzählt werde, so Dr. Wahlefeld. Kinder wachsen mit Geschichten auf, sie identifizieren sich mit den Figuren und lernen aus deren Taten. Geschichten entführen in eine andere Welt und lassen uns am Ende auf dem Boden der Tatsachen aufwachen. Im Idealfall mit mehr Einsichten als zuvor. Der „USP“ des Theaters sei, dass es das alles als Live-Erlebnis anbiete, so Wahlefeld, sowohl die Begegnung mit den Schauspieler:innen als auch das Rahmenprogramm, etwa Essengehen vor dem Theaterbesuch oder den anschließenden Absacker in einer benachbarten Kneipe.

Klar ist auch, frei nach Antoine de Saint-Exupery, dass man die Zukunft nicht voraussehen kann, aber möglich machen ... etwa durch ein heterogenes Theaterangebot, das möglichst viele Theaterafine, aber auch Nicht-Theatergänger:inner abhole. Christof Wahlefeld zählt hier neben einem „bunten“ Spielplan mit 120 verschiedenen Veranstaltungen im Jahr von Klassik bis Moderne vor allem „artfremde“ Angebote wie Vorträge über KI der neuen Reihe „Wissenschaft und Theater“ auf, ebenso Workshop-Angebote für Schulen oder die Quiz-Night in Kooperation mit dem Otto-Schäfer-Museum, um dem Publikum in krisengeschüttelten Zeiten wieder Lust auf Theater zu machen. „Wer will, dass die Welt so bleibt, wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt,“ wusste schon der österreichische Literat Erich Fried. Und so heißt es auch für das Theater, sich dem einzig Verlässlichen anzupassen, dem Wandel!

Dr. Wahlefeld merkt an, dass man nicht Geschichten der Stürmer und Dränger auf der Bühne erzählen könne, aber deren Ruf nach Fortschritt im wahren Lebennicht hören wolle. Beim Ausloten der Grenzen, was ein Theater in Schweinfurt „darf“, müsse bisweilen auch Scheitern erlaubt sein, sagt der neue Intendant. Kunst müsse Grenzen überschreiten, auch um zu wissen, wo „rote Linien“ sind. Die erste habe er schon überschritten, etwa mit einem weihnachtlichen Jazz-Abend, der den Titel trug: „Merry Fucking Christmas Party“, der schon einige Gemüter erhitzte. Die Veranstaltung Mitte Dezember letzten Jahres war dann ausverkauft. „Es ist ein Balanceakt zwischen Annäherung und Scheitern, zwischen Klassik und Moderne, zwischen Niederschwelligkeit und Anbiederung und doch ist es all die Mühe wert“, meint der Intendant des Schweinfurter Hauses, das nach der Sanierung im Herbst 2026 auch baulich in neuem Glanze erstrahlen soll. Bis dahin gilt es an der Ersatzspielstätte im Theater im Gemeindehaus Grenzen auszuloten, Glanzpunkte zu setzen und vor allem eins, gute Geschichten zu erzählen!

Bildnachweis: Josef Lamber, Anand Anders

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