Leporello im Gespräch mit dem Intendanten des Mainfranken Theaters Würzburg über die Spielzeit 2008/2009

von Susanna Khoury

Das Interview mit Hermann Schneider, dem Intendanten des Mainfranken Theaters Würzburg führte Leporello-Chefredakteurin Susanna Khoury.

Leporello: Um das Pferd von hinten her aufzuzäumen – war der „Tannhäuser“ ein Erfolg für Sie persönlich?

Hermann Schneider: Man ist als Künstler natürlich so eitel, dass man sagt, es war ein großer Erfolg. Sie wissen ja, es ist drei Jahre her, dass ich im großen Haus Musiktheater selbst inszeniert habe, damals den Faust, der etwas umstritten war, daher fand ich es schön wieder mit einem Ensemble zu arbeiten. Und ich habe mich gefreut, dass meine Inszenierung sowohl beim Publikum als auch bei der Presse gut angekommen ist. Bei Wagner sitzt man ja immer zwischen den Stühlen, dennoch ist meine konsequente Deutung angekommen.

L: Apropos zwischen den Stühlen: Margot Müller hat sich ja von dieser Produktion distanziert. Warum und haben sich die Wogen da wieder geglättet?

H.S.: Die Wogen haben sich geglättet! Es war ja nicht so, dass sie sich von meiner Arbeit oder dem Werk Wagners, das sie für sehr förderungswürdig hält, distanziert hat. Ich glaube, ihre Reaktion war eher ein Nachbeben der Wang-Affäre. Ich fand es auch irritierend, dass bis vor wenigen Wochen auf der Homepage des Wagnerverbandes stand: „gefördert vom Wagnerverband“, was nicht der Fall war, und „Dirigent Jin Wang“. Es stellt sich die Frage, war es redaktionelle Schlampigkeit oder eine Form von Protesthaltung. Ich weiß es nicht. Es war ja nicht meine Entscheidung, sich vom ehemaligen GMD zu trennen, sondern die der Stadt als Arbeitgeber und Rechts-träger. Ich hoffe nicht, dass es als Stellvertreterkrieg gemeint war, von wegen der Schneider ist der böse Bube, den mögen wir nicht, also fördern wir seine Inszenierung nicht, fände ich merkwürdig! Aber wie gesagt, die Wogen glätten sich. Frau Müller war kürzlich in der Vorstellung von „Tannhäuser“ und hat sich großzügig bei unserem Orchester bedankt.

L: Stichwort „Wang-Affäre“. Wenn man die Spielzeit Revue passieren lässt, so muss man leider sagen: Die Schlagzeilen um Jin Wang haben alles überschattet …

H.S.: Da haben Sie völlig recht und das ist eine Sache, die ich sehr bedauere. Denn die künstlerische Arbeit ist so in den Hintergrund gedrängt worden wegen einer einzigen Person. Es war sehr schwierig, dieser Eklat und die ganze Situation am Haus, die unsere Arbeit maßgeblich beeinträchtigt hat. Auch die Aufmerksamkeit der Presse war nur auf diese Frage gerichtet. Es hat mich geärgert, dass das ganze Mainfranken Theater auf eine Person reduziert wurde. Das hat im ganzen Haus zu Irritationen und auch zu Verbitterung geführt. Aber auch da sind wir dank Jonathan Seers über den Berg.

L: Rückwärts kann man Geschichte ja immer besser verstehen ... Würden Sie aus der Rücksicht, wenn Sie noch einmal in so einer Situation wären, anders handeln?

H.S.: Ich glaube, dass Vieles auf Missverständnissen beruht hat. Missverständnisse in der Frage des Selbstverständnisses … Was erwarten wir von einem GMD, was erwartet ein GMD von uns und was erwartet er von seiner Arbeit? Es ist sicher wahr, dass da einiges nicht optimal gelaufen ist. Zum einen hat Herr Wang mit einer Vielzahl von Mitarbeitern Probleme gehabt, zum Beispiel Orchester, Sänger, Gastregisseure, Intendant. Zum anderen hat auch seine administrative Arbeit nicht funktioniert.

L: Es war aber am Haus schon öfter so, dass sie Chemie zwischen Menschen, die dort zusammen beschäftigt waren, nicht stimmte. Dennoch ist es nie so eskaliert …

H.S.: Das stimmt! Durch das Umfeld von Jin Wang wurde mit einer Pressekonferenz nach der anderen so aktive Öffentlichkeitsarbeit betrieben – ich vermeide das Wort „Stimmungsmache“ –, dass die Sache total eskaliert ist. Man dachte, durch politischen Druck auf einen internen arbeitsrechtlichen Vorgang, das Ruder herumreißen zu können. Das war eine menschlich und politisch sehr belastende Situation für uns am Haus.

L: Schwenk auf die künstlerische Arbeit: Schauspiel, Musiktheater, Ballett. Was ist in der Spielzeit gut gelaufen, was schlecht und warum?

H.S.: Eine gute Frage … Ich fange mit dem Leichtesten an: Das Ballett ist sensationell gelaufen. Ich bin stolz, Anna Vita am Hause zu haben. Sie hat diese Sparte in jeder Hinsicht künstlerisch ganz nach vorne gebracht. Das gilt für die Auslastung, sprich Quantität, genauso wie für die Qualität. Punkt! Im Schauspiel ist es differenzierter. Es gibt Stücke, wie „der Parasit“, die ich großartig finde, die aber nicht so angenommen wurden. „Die Räuber“ sind sehr gut gelaufen, wie künstlerisch eigentlich fast alle Stücke, auch in der Kammer. Ausnahme das Stück des letzten Leonard Frank-Preises, das kam nicht raus. Es war einfach so, dass der Regisseur mit dem Stück und dem Ensemble nicht zu dem Punkt kam, an den er wollte. Man darf das aber auch nicht zu hoch hängen. Das ist zum ersten Mal passiert, seit ich Intendant bin. Wir haben uns als „Ersatz“ für „Tschetchnenien“ entschieden und das war ein großer Erfolg, auch bei den Bayerischen Theatertagen in Coburg. Im Musiktheater hat die Inszenierung von „Hänsel und Gretel“ für Irritationen gesorgt. Da habe ich sehr viel Post bekommen … Ich verstehe manchen Unmut, aber ich stehe auch zu der Entscheidung, dass klassisches Repertoire auch einmal anders daherkommen darf.

L: Ohne Frage ist es legitim, etwas gegen den Strich zu bürsten. Aber muss man das gerade mit „Hänsel und Gretel“ tun, wo so eine große Erwartungshaltung gerade von Kindern da ist, die man dann bewusst enttäuscht?

H.S.: Ich habe lange darüber nachgedacht. Schön, dass sie mich das fragen … Hätte man beispielsweise „Turandot“, wo es um Mord, Gewalt und ein totalitäres Regime geht, Nada Kokotovic´ geben sollen und Kurt Josef Schildknecht, der mit „Turandot“ einen Riesenerfolg hatte, „Hänsel und Gretel“? Will sagen eine Frau ein Frauen-schicksal inszenieren lassen und einen versierten Theatermann, der die klassische Lesart bevorzugt „Hänsel und Gretel“? Hätte man machen können, ich habe aber bewusst gesagt, ich will es anders …, nicht um Leute zu schikanieren oder zu verprellen. Wir müssen manchmal unseren Traditionen misstrauen. Und man darf uns nicht die Legitimation absprechen, anders zu denken, neu zu denken.

L: Natürlich darf man anders denken, keine Frage … Nur ist es klug, das zu tun, wenn man sich durch das Postulat unbedingter künstlerischer Freiheit mehr kaputt macht, als auf der anderen Seite gut?

H.S.: Ihr Einwand ist nicht von der Hand zu weisen. Ich verstehe ihn auch … Aber das ist das Risiko, das ich eingehen muss und möchte. Wie geht man das ein? Wo ist die Grenze? Diese Fragen stelle ich mir immer wieder, muss man auch. Vielleicht würde ich es das nächste Mal anders machen, vielleicht war es aber gut die Debatte, die es losgetreten hat, in den Raum zu stellen.

Bildnachweis: Falk von Traubenberg

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