Bernhard Stengeles Projekte am Mainfranken Theater Würzburg 2011/2012

von Lothar Reichel (erschienen in Ausgabe 9/2011)

Für „couragiertes Theater“ wurde die Schauspiel-Sparte des Mainfrankentheaters Würzburg mit dem Sonderpreis der Jury bei den Bayerischen Theatertagen im Frühsommer ausgezeichnet.

Schauspieldirektor Bernhard Stengele wertet dies als „extrem gute Bestätigung“ – nicht nur für die in der letzten Spielzeit geleistete Arbeit, sondern auch für die ja durchaus ambitionierten Projekte, die im Herbst 2011 anstehen.

Da ist zum einen die Koproduktion „Les funérailles du désert“ mit dem C.I.T.O. Theater Ouagadougou im westafrikanischen Burkina Faso, zum anderen „Kein schöner Land – Ein Heimatabend“, wo es um die Stadtgeschichte Würzburgs geht. Was sich auf den ersten Blick disparat ausnimmt, hat bei näherem Hinsehen eine große, gemeinsame Klammer: die Erkundung des Phänomens Heimat und des gesellschaftlichen Zusammenlebens in kulturellen Identitätsräumen.

Das wird im Frühling 2012 dann noch einmal ausgeweitet, wenn das antike Stück des Euripides „Die Schutzflehenden“ mit aktuellen Fragen des Asylrechts verknüpft und ganz konkret auf die Lebensbedingungen in der Würzburger Gemeinschaftsunterkunft für Asylsuchende bezogen wird. Harmlose Unterhaltung bietet das Würzburger Schauspielensemble also bestimmt nicht an.

Ob das Publikum das immer goutiert, steht auf einem anderen Blatt, aber Bernhard Stengele ist von seinem Konzept überzeugt. Seine Theaterarbeit in den letzten Jahren sei ein „Wagnis aus einer schwierigen Situation heraus“ gewesen; ein Wagnis, das Erfolge gezeigt habe.

Die überregionale Wahrnehmung des Mainfranken Theaters sei gestiegen, die Vernetzung in der Stadt durch den Bürgerchor in den antiken Stücken und die Lesungen in Privathäusern dichter geworden. Der Anteil des jungen Publikums nehme zu, auch der kurzfristige Kartenkauf an der Abendkasse.

Sein Konzept bestehe aus mehreren Säulen, erläutert Stengele. Er habe genau das Publikum für diese Stadt Würzburg im Blick, dem man zum Beispiel keine „grauen, kaputten Stücke“ zumuten könne. Und er setzt auf „starke Formen“: Maskenspiel, Gesang, Arbeit im schauspielerischen Handwerk.

Nach einem Theaterbesuch solle „die Energie höher sein als vorher, die Leute sollen wissen, dass sie nicht verarscht werden“. Die Schauspieler selbst hätten in ihrer Arbeit viel Verantwortung und könnten selbständig arbeiten. Und die Musik spiele bei seiner Arbeit eine große Rolle – nicht, weil das Publikum gerne Musik möge, sondern weil der Einsatz von Musik noch einmal eigene Deutungshorizonte öffne.

Es wird gerade in der kommenden Spielzeit spannend werden, die Konzeption des Schauspieldirektors zu verfolgen und auch auf Stichhaltigkeit zu überprüfen. Im Rückblick bezeichnet Bernhard Stengele ein Stück wie „In Schrebers Garten“ als eines, wo er „einhundertprozentig mit einverstanden“ war. Die Besucherzahlen sahen aber eher mau aus. Risiken geht Stengele auch jetzt ein.

Ob ein dramatischer „Brocken“ wie „Die Hermannsschlacht“ von Heinrich von Kleist funktioniert, wird sich weisen. Das Afrika- Projekt ist hoch ambitioniert und ungeheuer interessant; es wird sich zeigen, ob das Publikum diese Erkundungswege des Schauspielensembles mitgehen mag. Und insgesamt bleibt zu fragen, ob nicht das Unterhaltsame (ein fragwürdiges Wort, zugegeben), „leichtere“ Theater, das gute Geschichten spannend erzählt, gänzlich auf der Strecke bleibt.

Bernhard Stengele will im Augenblick offenbar aber keinen Mittelweg gehen; und allein diese Courage ist natürlich anerkennenswert. Sind wir also neugierig, offen und gespannt auf das kommende, ungewöhnliche Schauspieljahr 2011/2012 in Würzburg.

Bildnachweis: Mainfranken Theater Würzburg

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