Übers Gelingen und Scheitern auf der Bühne: Blütenträume im Theater Schweinfurt

von Lothar Reichel

Blütenträume – ein schönes Wort. Hat nichts mit Falschgeld zu tun, sondern stammt natürlich von Goethe. In seinem „Prometheus“ heißt es: „Wähntest du etwa, ich sollte das Leben hassen, in Wüsten fliehn, weil nicht alle Knabenmorgen-Bütenträume reiften?“ Scheinbare Altersweisheit eines noch ziemlich jungen Dichters. Blütenträume werden jeden Morgen neu geboren und zerplatzen meist auf dem Weg in den Abend. Manchmal werden sie aber auch wahr. So geschehen an zwei Novemberabenden im Schweinfurter Theater.

Theater wurde plötzlich Leben und aus dem Leben Theater, und man konnte lachen und weinen und betroffen sein und war hervorragend unterhalten. Auch das Theater hat ja seine Blütenträume. Von jeher. Ursprünglich entstanden als heilige Handlung im Dienste von Religion und Politik, wollte es immer recht viel: Bilden, unterhalten, unterweisen, indoktrinieren, belehren, verändern. Bis heute verheddert sich das Theater dabei ziemlich oft, weil es nicht unterscheiden will. Da muss Unterhaltung dann mit Tiefsinn aufgeladen werden, der „Klassiker“ aktualisiert und modernisiert, das Problemstück entstaubt, ein konkreter Gegenwartsmoment in die allgemeingültige Zeitlosigkeit enthoben und sowieso alles gegen den Strich gebürstet werden. Dabei ist das Theater maßlos geworden. Alles ist dort möglich. Man stelle sich einen Moment vor, andere Genres würden ähnlich handeln. Einen Filmklassiker wie „Casablanca“ mit Szenen aus dem Migrantenmilieu von Neukölln aktualisieren oder Tolstojs „Krieg und Frieden“ auf Vietnam oder Afghanistan hin umschreiben.

Blödsinn? Naja, im deutschen Theater geschieht Ähnliches Tag für Tag. Was übrigens nicht immer grottenschlecht und sinnlos dumm ist – durchaus nicht. Aber leider doch ziemlich oft. Viel zu oft. Es hat wohl mit der Persönlichkeitsstruktur der sogenannten „Theatermacher“ zu tun. Nicht mit denen im Sinne Thomas Bernhards, sondern mit den verzweifelt Phantasielosen der Branche. Die ihre Leere, ihre Wut, ihre Neuröschen und angelesenen Ideologien abreagieren, indem sie Shakespeare, Schiller oder Kleist zertrümmern. Hilflos und infantil. Statt zu tun, was Shakespeare, Schiller und Kleist getan haben. Die haben, wenn sie Wut im Bauch und eine Idee im Kopf hatten, ein Stück geschrieben. Ein neues Stück fürs Theater. Anstatt darüber zu klagen, daß es heutzutage keine guten Stücke mehr fürs Theater gäbe. Denn auch das tun die bewussten Theatermacher heutzutage gern und oft. Glücklicherweise gibt es Ausnahmen.

Der Schauspieler und Regisseur Lutz Hübner ist so eine. Mittlerweile einer der meistgespielten Autoren auf deutschen Bühnen, hat er mehr als 30 Stücke geschrieben. Seine „Blütenträume“, Konversationstheater par excellene für acht Schauspieler, war der wahrgewordene Blütentraum im novemberlichen Schweinfurt. Ein Stück über die Träume, Illusionen, Egoismen und Lebenspannen von Senioren, die noch nicht alt sein wollen. Deren Blütentraum, eine WG als Zukunftssicherung gründen zu wollen, platzt, weil sie sich selbst im Weg stehen. Ein Stück von heute für heute, ein Stück über unser aller Blütenträume. Man ging nach Hause und dachte: So sollte Theater immer sein. In der Gewissheit, dass auch das ein Blütentraum ist.

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