Mit „Zerstörte Straßen“ trifft das E.T.A. Hoffmann Theater Bamberg den Nerv der Zeit

von nio (erschienen in Ausgabe 11/2022)

„Das Stück ist ein bisschen ein Wagnis“, gesteht Dramaturg Armin Breidenbach. Als sich das Bamberger Theater im Februar 2022 die Frage gestellt hat, wie man dramaturgisch auf Krieg reagieren sollte, taten sich viele Aspekte auf. Fest steht: Theater kann nicht tagesaktuell sein. Vielmehr schafft es einen größeren Rahmen. Aber wie? Wie „spielt“ man Krieg, Soldaten, Waffen, Vergewaltigung, Tod? Mit Nathalias Vorozhbyts „Zerstörte Straßen“ aus dem Jahr 2017 fiel die Wahl auf ein Stück, das unter die Haut geht.

Die Autorin und Filmemacherin kommentiert das in einem Interview: „Den Krieg in der Ukraine gibt es schon seit 2014. Wir haben das allen förmlich ins Gesicht geschrien, aber niemand hat uns zugehört.“ Jetzt, Ende 2022 sieht es nicht so aus, als ob dieser Krieg bald zu Ende wäre. „Zerstörte Straßen“ ist dokumentarisch. Vorozhbyt geht von eigenen Recherchen und Erzählungen Geflüchteter aus dem Donbass aus. Diese hat sie so inszeniert, dass jede Geschichte in der anderen aufzuscheinen scheint.

„So ist eine Art Kaleidoskop des Krieges entstanden, das vorwegnimmt, was sich seit Februar 2022 abspielt“, sagt Armin Breidenbach. Manche Figuren seien real, andere nicht. Der polnische Regisseur Wojtek Klemm fügt dem Stück Improvisationen hinzu. Die Themen, die im Text stecken, werden weitergedacht. Das macht „Zerstörte Straßen“ grausam aktuell. Doch es ist nicht nur Beklemmung. Der Dramaturg schickt eine Warnung vorweg: „Es kann sein, dass Ihnen das Lachen im Halse stecken bleibt. Aber: Humor ist auch eine Waffe.“ Und diese Waffe setzt das Bamberger Ensemble exzellent ein. Im bewusst kahl gehaltenen Bühnenbild von Romy Rexheuser, das an die unendliche Weite des Landes erinnern soll, bewegen sie sich gleich auf mehreren „Ebenen“. Marek, Robert, Jeanne, Alina, Stephan und Eric spielen nicht nur die Figuren der Autorin, sondern auch sich selbst – sie treten in Kontakt mit dem Publikum. Knüpfen die Rahmen zu den einzelnen Szenen. Das führt zu absurden, grotesken, aber stets adäquat erscheinenden Überleitungen. Sie stehen im Hinter- und Vordergrund – gleichermaßen. Humor und Grauen changieren: Eine Herausforderung für die Agierenden und die Zusehenden. Gräueltaten des Krieges werden ins Gedächtnis gerufen. Einige liegen Tausende Tage zurück, andere nur wenige Tage. „Das hätte doch gereicht!“, ertönt es bei jeder der erwähnten Missetaten. Ja, möchte man dem mit eben jener Leidenschaft erwidern, die die Schauspieler:innen in den Raum tragen.

Für die Aufführung in Bamberg hat die Autorin, die nach vorübergehender Flucht heute wieder in Kiew lebt, einen Epilog geschrieben. Und dieser ist genauso berührend wie das zuvor Gesehene. Sie fragt: „Kann Kunst die Welt retten?“ Und sie gibt sich die Antwort gleich selbst: „Nein, ich glaube nicht daran.“ Kunst lenke uns aber ab. Ihre Botschaft geht ins Mark: „Ich will anstelle meiner Texte bleiben!“ Sie will ein normales Leben führen – in Frieden – wie wir alle.

Bildnachweis: Martin Kaufhold

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