Das E.T.A. Hoffmann Theater in Bamberg lässt das Publikum erschaudern

von nio (erschienen in Ausgabe 11/2021)

Eine "Diktatur des Bösen": Rainald Goetz‘ beunruhigendes Techno-Theater zeigt ausgelebten Sadismus.

Schonunglos dröhnt der Bass aus den Boxen. Diabolisches Lachen erfüllt den Raum. Videosequenzen und Stroboskop-Effekte blitzen auf, die den Zuschauer ob ihrer Drastik bis ins Mark zu erschüttern vermögen. Und obendrein gibt es eine Bühne, die das Publikum nicht nur sprichwörtlich mit in den Abgrund nimmt. Regisseurin Sybille Broll-Pape und Trixy Royeck, verantwortlich für Bühne und Kostüme, haben ganze Arbeit geleistet. Rainald Maria Goetz' "Reich des Todes" geht unter die Haut - nachhaltig.

Kurz nach dem 20. Jahrestag von 9/11 bringt das Theater am 8. Oktober das Werk eines zeitgenössischen Autoren, "einem Chronisten der Gegenwart und jüngeren Vergangenheit" auf die Bühne. Der Georg-Büchner-Preisträger von 2015 hat mit "Reich des Todes" nach langer Veröffentlichungspause (fast 20 Jahre) seinen ersten Text für das Theater verfasst -  uraufgeführt am 11. September 2020 in Hamburg. Er nimmt die einstürzenden Twin Towers, das brennende Pentagon und das überall herrschende Chaos zum Anlass, um "eine Regierung zu beschreiben, die eine Krise nutzt, um - vermeintlich im Dienst von Volk und Vaterland - eine Demokratie auszuhebeln", wie es die leitende Dramaturgin Petra Schiller beschreibt. Denn der "Krieg gegen Terror" setzt in den darauffolgenden Jahren eine Maschinerie in Gang, die es zuvor so nicht gegeben hat: Grundwerte werden infrage gestellt, Bürgerrechte teils außer Kraft gesetzt. 2004 wird die Welt wieder erschüttert. Die grausamen Fotos der von US-Soldat:innen misshandelten arabischen Häftlinge aus Abu Ghraib hinterlassen Fassungslosigkeit. Ebenso wie die Bilder von verzweifelten Menschen in Afghanistan, die sich im August 2021 an ein Flugzeug klammern, um der Taliban zu entfliehen. Und erneut steht ein US-Präsident da und sagt: "We will not forgive. We will not forget. We will hunt you down and make you pay."

Goetz' Werk ist keine Doku. Er benutzt Kunstgriffe, überschreibt reale Figuren mit deutschen Namen. Er erweitert den Blick, fügt Fiktion hinzu, nimmt Reales weg. Wie in einem Shakespeare-Königsdrama werden schillernde Figuren vorgeführt, die Abgründe durchschreiten, in denen sich Demokratie in zerstörerische Autokratie wandelt. Im Original scheint sein Text kaum spielbar. Gute acht bis neun Stunden sollte man schon ansetzen, so Schiller. In Bamberg konzentriert man sich daher auf die Frage: Woher kommt die Hybris beim zweiten Mann? Woher kommt diese Machtgier? Und letztlich: Wie entsteht ein böser Mensch?

Dominanz, Übertrumpfung, gnadenloses Ausspielen und auch die enorme Lust der Schurken an ihrem Tun - das ist es, was dem Publikum in gut zweieinhalb Stunden von einem rundum herausragend agierenden Ensemble geboten wird. Oft genug bleibt dem Zuschauer während dieser Zeit die Luft weg. Doch die Schauer der Ereignisse werden auch gebrochen. Es darf gelacht werden; zum Beispiel über einen Präsidenten, der unfreiwillig zum Schreien komisch wirkt.

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www.theater.bamberg.de

Bildnachweis: Birgit Hupfeld

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