Das E.T.A. Hoffmann Theater Bamberg eröffnet die neue Spielzeit mit opulentem Stoff – „Das achte Leben“ von Nino Haratischwili

von Nicole Oppelt

Marlene-Sophie Haagen mit Bertram Maxim Gärtner, Marie-Paulina Schendel, Angelika Bartsch, Stefan Herrmann und Stephan Ullrich.„Theater ist immer ein Ort gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen“, analysierte Intendantin Sibylle Broll-Pape bereits im Frühjahr. „Wir leben in einer Zeit, in der tiefgreifende Veränderungen im Gang sind.“

Das machten aktuelle Debatten um Identität, Ideologien und Digitalisierung immer deutlicher. Der Gegenwartsphilosoph Peter Sloterdijk formulierte es noch drastischer: „Sämtliche Differenzen, aus denen eine moderne Gesellschaft zusammengewoben ist, befinden sich in Aufruhr.“

Ein neues Zeitalter scheint bevorzustehen. Doch Verunsicherung macht sich breit. Gemeinsam mit dem Ensemble reagiert die Intendantin des E.T.A. Hoffmann Theaters Bamberg darauf und hat die kommenden Monate unter das Motto „Zeitenwende“ gestellt.

Dass sie in der Eröffnungspremiere Anfang Oktober auf ein in mehrfacher Hinsicht gewaltiges Werk zurückgreift, ist nur konsequent.

Der 2014 erschienene Roman „Das achte Leben (Für Brilka)“ der aus Georgien stammenden und auf Deutsch schreibenden Autorin Nino Haratischwili ist monumental. Auf über 1000 Seiten breitet sie ihr viel beachtetes Werk aus.

Und auf über 1000 Seiten skizziert sie eine Welt voller Umbrüche und Dramen, Katastrophen und Wunder. Sie beginnt in Georgien am Vorabend des Ersten Weltkriegs und schreibt sich bis ins Deutschland zu Anfang des neuen Millenniums.

Sie berichtet über Liebe und Verrat und über die Nachwirkungen des „Jahrhunderts des Kommunismus“ bis in unsere Tage.

Ein Epos über sechs Generationen, der im Jahr 1900 mit der Geburt der eigenwilligen Stasia, der Tochter eines angesehenen Schokoladenfabrikanten, beginnt.

„Es ist auch eine Geschichte von Machtmissbrauch und des Missbrauchs von Frauen, die am Ende aufgeschrieben wird für die jüngste Nachfahrin, für Brilka“, so das Resümee in Bamberg.

Für Erzählerin Niza ist das 20. Jahrhundert ein „Jahrhundert, das alle betrogen und hintergangen hat, alle die, die hofften.“Angenommen haben sich dieser Mammutaufgabe Sibylle Broll-Pape als Regisseurin, Remsi Al Khalisi als Dramaturg und Trixy Royeck, die für Bühne und Kostüme verantwortlich zeichnet. Und sie gelingt ihnen allen mit Bravour.

Gut drei Stunden fesselt das Stück in die Theatersessel. Politische Schlaglichter verweben sich mit dem Schicksal einer Familie.

Das Ensemble ist mit Katharina Brenner, Stefan Herrmann, Angelika Bartsch, Bertram Maxim Gärtner, Anna Döing, Ewa Rataj, Stephan Ullrich, Marlene-Sophie Haagen und Marie-Paulina Schendel hervorragend besetzt. Es begegnet sich durchweg auf Augenhöhe und brilliert von der ersten bis zur letzten Sekunde.

Die Bamberger Version von „Das achte Leben“ ist eine eindrucksvolle Inszenierung, die durch ein minimalistisches Bühnenbild besticht.

Die wenigen Elemente – allen voran eine runde, drehbare Bühne sowie gezielt eingesetztes Licht – verdeutlichen die Zerrissenheit sowie die Gefangenschaft der Charaktere in ihren Lebensumständen.

Broll-Pape stellt die Handlung, die Figuren und die damit verbundenen schauspielerischen Leistungen in den Fokus. Immer wieder treten die Protagonisten heraus und suchen den direkten Dialog mit dem Publikum.

Das Geschehen wird nahbarer, unmittelbarer, die Identifikation steigt. Trotzdem schafft es die Regisseurin eindrucksvolle „Standbilder“ der Akteure zu erzeugen.

Sie bleiben im Gedächtnis haften und bilden den Rahmen für beste Absichten, die hier immer wieder in die Katastrophe – sowohl der Charaktere als auch der politischen Systeme – führen. Beide bedingen sich, ergeben Wechselwirkungen, die erst aus der Distanz begreifbar werden.

Am Ende des Theaterabends berührt nicht nur das Familienschicksal. Man möchte sich selbst als auch seinen Mitmenschen zwei Dinge mit auf den Weg geben: Schaut auf dieses unbekannte Land Georgien.

Ein Fleckchen Erde, das auch heute eine geopolitisch höchstbrisante Region ist, an der nicht nur das große Russland ein Interesse hat.

Ein weiteres, nicht minder eindringliches Appell liegt ebenso auf der Hand. Denn Nino Haratischwili macht an einer Familiengeschichte deutlich, was politische Verhältnisse bedeuten. Jede einzelne, persönliche Entscheidung lassen diese entstehen.

Wir haben es in der Hand – auch heute.

INFO: bis 2. November, www.theater.bamberg.de

Bildnachweis: Martin Kaufhold

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