Regisseurin lässt Protagonisten an antiquiertem Denken scheitern

von Michaela Schneider (erschienen in Ausgabe 03/2020)

Fräulein Julie verführt Kammerdiener Jean. Kristin beobachtet die Beiden. Von links: Johanna Meinhard, Alexander Darkow, Julia Baukus.
Techno wummert aus dem Hinterraum in die schlichte, schwarz-weiße Küche. Fräulein Julie tritt in High-Society-Manier und Marlenehose auf, sucht den seichten Spaß. Kammerdiener Jean dagegen wirkt – gefangen im niederen Stand und gestelzt sprechend – seltsam antiquiert im zeitgelösten Ambiente der Kammer.

Mit „Fräulein Julie“ nimmt sich das Mainfranken Theater Würzburg jener Tragödie des schwedischen Autors August Strindberg von 1888 an, die sich – eigentlich – sehr kritisch mit der Emanzipation der Frau auseinandersetzte. Diese sei Opfer des Irrglaubens, dass sie (…) dem Mann, dem Herrn der Schöpfung und Kulturschöpfer ebenbürtig sei oder werden könne, wodurch sie sich in ein unsinniges Streben verwickle, an dem sie scheitere, schrieb Strindberg seinerzeit im Vorwort zur Tragödie. Doch, den herausragenden Spielqualitäten von Johanna Meinard als Julie und Alexander Darkow als Jean sei Dank, sitzen sich in Hanna Müllers Inszenierung am Ende ein starkes Fräulein und ein schwacher Kammerdiener gegenüber.

Julies Vater, der Graf, ist zur Mitsommernacht verreist. Sie feiert und tanzt unterdessen mit der Dienerschaft. Vor allem zum Kammerdiener Jean fühlt sie sich hingezogen. Was als amüsanter Zeitvertreib beginnt, entwickelt sich zur leidenschaftlichen Affäre, in der sich die beiden Ängste und Träume gestehen: Julie will Standeszwängen und verkrusteten Geschlechterrollen entfliehen, Jean träumt von sozialem Aufstieg und Macht. Im Rausch von Ekstase und Gefühlen denken sie weder an Jeans Verlobte Kristin (Julia Baukus) noch an die Folgen ihres Handelns. Die Inszenierung geht vor allem nah, weil man als Zuschauer hin- und hergerissen ist zwischen Mitgefühl und Ablehnung für die Protagonisten, sich dem Bühnengeschehen mal nah, dann wieder sehr weit entfernt fühlt. Johanna Meinhard, anfangs die arrogante High-Society-Schönheit, offenbart im Laufe des Abends ihr Seelenleben. Ihre verletzliche Nacktheit – Meinhard steht nun barbusig auf der Bühne – berührt.

Dem gegenüber fühlt man anfangs mit dem antiquierten Jean, gefangen in seinem Stand, noch mit, entfernt sich aber zunehmend. Weniger Julie als vielmehr Jean verwickelt sich nun – frei nach Strindberg – in ein unsinniges Streben, an dem er scheitert. Darkow, in gekonnter Überspitzung, skizziert einen Mann, der in diese Welt nicht mehr so recht passen mag. Strindbergs mit heutigem Denken nicht allzu konform gehende Tragödie funktioniert in Hanna Müllers Inszenierung, weil sie den Kerngedanken umkehrt:
Die geplante Flucht aus gesellschaftlichem Stand und Geschlechterrollen scheitert am Ende vor allem, weil Jean im antiquierten Denken verharrt. Während er Julie zittrig, zweifelnd und zerrissen in den Selbstmord drängt, fordert sie ihn selbstsicher zum Mitkommen auf.

Bildnachweis: Nik Schölzl

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