Hermann Drexler inszeniert „Endstation Sehnsucht“ in der TheaterWerkstatt

von Pat Christ (erschienen in Ausgabe 02/2023)

Auf ihre Weisen, ihre vollkommen unterschiedlichen Weisen, sind sie beide kompromisslos. Radikal. Sie wissen, was sie wollen. Und das, was sie wollen, wollen sie haben. Ihre „Waffen“ unterscheiden sich. Aufgrund ihrer jeweiligen Möglichkeiten: In „Endstation Sehnsucht“ lässt Tennessee Williams zwei starke, aber hoffnungslos desillusionierte Charaktere aufeinanderprallen. Zu sehen ist das Psychodrama noch bis 20. Mai unter der Regie von Hermann Drexler in der TheaterWerkstatt Würzburg.

Mit Anne Hansen fand Hermann Drexler die Idealbesetzung für Blanche, Miro Nieselt ist die Rolle des Stanley auf den Leib geschneidert. Indem sich beide ineinander verhaken, loten sie ihre jeweiligen seelischen Abgründe aus. Anne Hansens Blanche ist flatterhaft und getrieben, stets am Rande der Hysterie, stets im Ausnahmezustand, innerlich zerrissen, zersplittert in ihrer Identität, gleichzeitig um Würde und Selbstachtung ringend. Ihr Schwager Stanley, mit dem Blanche aufeinanderprallt, weil sie sich, nachdem sie alles verloren hat, zu ihrer Schwester Stella (Angelina Gerhardt) rettet, erscheint als das krasse Gegenteil. Straight. Eiskalt kalkulierend. Einer, der im Ernstfall über Leichen geht.

Tennessee Williams zoomt in eine Familienkonstellation, deren Mitglieder schmerzhaft wenig zusammenpassen. In dieser Hinsicht ist das vor ziemlich genau 75 Jahren uraufgeführte Stück in der heutigen Patchwork-Ära mindestens so aktuell wie damals. Brisanz gewinnt das Drama jedoch nicht zuletzt dadurch, dass die extreme und unüberwindbare Spaltung zwischen Blanche und Stanley als Spiegelbild für den aktuellen Zustand unserer krisenbedingt vielfach traumatisierten Gesellschaft angesehen werden kann.

„Ich sag nicht das, was wahr ist, sondern was wahr sein sollte“, äußert Blanche, als das Lügengebäude, das sie um sich gezimmert hat, zusammenbricht. Mit dieser schonungslosen Selbstehrlichkeit wirft die zuletzt immer wahnhaftere Blanche Fragen nach Wahrheit und Wirklichkeit auf. Was, wenn das gesamte, aus einer traumatisierten Seele rieselnde Lebensgefühl tatsächlich hin zu dem drängt, was wahr sein sollte – unter Verleugnung der Realität? Was, wenn es, aufgrund mangelnder psychischer Ressourcen, schlicht unmöglich ist, das Böse der Wirklichkeit anzuerkennen?

Bildnachweis: Pat Christ

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