„Der Kirschgarten“ feierte am 9. Oktober am E.T.A. Hoffmann Theater Premiere

von Nicole Oppelt (erschienen in Ausgabe 11/2020)

„Sie wollen die Freiheit, sie bekommen den Kapitalismus“, lässt Tschechow seinen Lopachin über die Diskrepanz zwischen nostalgischen Bewahrern und blitzgescheiten Aufsteiger sinnieren.
„Wenn doch nur alles schon vorbei wäre, wenn es sich doch ändern würde, dieses falsche Leben“, seufzt Jermolaj Alexejewitsch Lopachin. Die schweren Gedanken des Kaufmanns klangen bei vielen Zuschauern nach, als sie Sybille Proll-Papes und Victoria Weichs Inszenierung von Anton Tschechows „Der Kirschgarten“ am Premierenabend verlassen haben.

Mit gut sechsmonatiger Verspätung steht die Tragik-Komödie des großen, russischen Schriftstellers seit Anfang Oktober endlich auf dem Spielplan des Bamberger Hauses. Ein bewegender Moment – in Zeiten von „Corona“ – das ist allen Beteiligten deutlich anzumerken. „Tschechows Figuren haben uns viel zu sagen – selbst die Kleinsten“, so die Intendantin in Richtung Publikum, das an diesem Abend besonders gut hingehört und auch hingesehen hat.

Das Ensemble rund um Katharina Brenner als Gutsbesitzerin Ljubow Andrejewna Ranewskaja und Oliver Niemeier als Lopachin brannte auf den Startschuss. Mit Bravour – anders lässt es sich nicht beschreiben – stellten sie sich der bis dato ungewohnten Herausforderung, die denkbar intensive Geschichte um die Bewohner eines verschuldeten Landguts, die zwischen Melancholie und Grandezza changieren, mit dem gebotenen Abstand zu transportieren. Geschuldet war diese Souveränität sicherlich auch dem Bühnenbild von Trixy Royeck, die sich die behördlichen Vorgaben aufs Cleverste zunutze machte. So diente die bewusst puristisch gehaltene Bühne mit ihren gezielt verteilten Begrenzungen nicht nur der Darstellung der fast unerträglichen Spannung von Tradition und Moderne, sondern vor allem auch dazu, den Schauspielern Halt und Orientierung zu bieten.

So gelangen wunderbare Slapstick-Einlagen, „menschliche Nähe auf Distanz“ und so manch bewegender Moment als wären sie nie anders vorgesehen gewesen. „Vielleicht ist unsere ganze Welt eine optische Täuschung?“, fragt der tollpatschige Semjon Pantelejewitsch Jepichodow alias Eric Wehlan. Im Fall der Bamberger Version von Tschechows letztem Stück lässt man sich nur allzu gerne auf diese ein. Denn Veränderung ermöglicht, und das lernen wir von Tschechow, ist sie erst einmal eingetreten, für alle, ob verlustreich oder hoffnungsvoll, ein neues Leben.

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www.theater.bamberg.de

Bildnachweis: Martin Kaufhold

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