Konstantin Küsperts „fort schreiten“ am E.T.A. Hoffmann Theater Bamberg

von nio (erschienen in Ausgabe 02/2020)

Die interstellare Arche ist die neue Hoffnung der Menschheit. Aber ist sie das wirklich? „Alles, was wir machen,  ist warten“, sinniert die Kommandantin.
Anfang 2020 befindet sich die Menschheit so nah am Weltuntergang wie nie zuvor. Das US-Wissenschaftsmagazin „Bulletin of the Atomic Scientists“* hat die Zeiger seiner symbolischen Weltuntergangsuhr von zwei Minuten auf 100 Sekunden vor Mitternacht gestellt. Die Menschheit sei mit gleich zwei existenziellen Gefahren, Atomkrieg und Klimawandel, konfrontiert. Die Welt befinde sich in einer „wahren Notsituation“.

Was am Morgen des 24. Januars in den Zeitungen zu lesen ist, wird noch am gleichen Abend zum Gegenstand der Kunst. Bereits zum vierten Mal arbeitet das E.T.A. Hofmann Theater in Bamberg mit Konstatin Küspert zusammen. Und sein aktuelles Auftragswerk „fort schreiten“ trifft unser aller Nerv. Unter der Regie von Intendantin Sibylle Broll-Pape wird das Publikum Zeuge einer nach Science-Fiction anmutenden Szenerie. Doch das Geschehen in der von Trixy Royeck so vortrefflich gestalteten Raumschiff-Kulisse ist weit mehr als das. Es bringt die Widersprüchlichkeit unseres seit Jahrtausenden andauernden Strebens nach Fortschritt auf den Punkt und es zeigt – auf durchaus besondere Weise – wie wir an diesen so niederschmetternden Punkt gelangen konnten.

Gemeinsam mit Carlotta Freyer, Bertram Maxim Gärtner, Stefan Herrmann, Oliver Niemeier, Marie-Paulina Schendel und Daniel Seniuk befindet sich der Zuschauer auf dem Generationenschiff „Granda Paso“. Die jungen Leute sind die mittlere Generation. Sie wurden hier geboren und werden hier auch sterben. Doch sie haben einen Antrieb. Sie sind auf dem Weg von der zerstörten Erde zu einem neuen bewohnbaren Planeten. Konstantin Küspert entwirft eine bittersüße Handlung. Herzhaftes Lachen und tiefe Nachdenklichkeit changieren im Minutentakt. Während die Crew der tödlichen Bedrohung durch einen Asteroiden ins Auge sieht, streut er peu á peu prägnante Figuren des menschlichen Fortschritts ein.

Vom Ehekrach in der Steinzeit, der die moderne Agrarwirtschaft begründet, über Carl Benz, dessen Fortschritt nach Rosen duften soll, der ersten Programmiererin Eda Lovelace, die nicht an eine Herrschaft der Maschinen glauben will, bis hin zu Albert Einstein, der als weinerlicher Talkshow-Gast an der Seite eines stolzen Dschingis Khan zu sehen ist. Dazwischen bewegt sich ein zauberhafter Roboclean 3000, der eigentlich nach Höherem strebt und die sich selbstverbessernde Künstliche Intelligenz Kim, die sich kurzerhand über Gott stellt. „Ihr Menschen hattet alles, doch es reichte eben nicht“, warnt uns schließlich Nostradamus. Wir aber schreiten unaufhörlich voran.

Und es bleibt die Frage: „Kann der technologische Fortschritt die menschengemachte Zerstörung aufhalten, gar rückgängig machen, die Schöpfung verbessern?“

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www.theater.bamberg.de

Bildnachweis: © Martin Kaufhold

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