Mit „Rain Man“ wagt sich die Spessartgrotte an die ­Bühnenadaption eines Kinoerfolgs

von Michaela Schneider (erschienen in Ausgabe 6/2019)

Autohändler Charlie (Daniel Baaden, links) und der autistische Raymond (Steve ­Walter, rechts).Was für eine große Filmvorlage! Für acht Oscars war „Rain Man“ mit Dustin Hoffmann und Tom Cruise in den Hauptrollen im Jahr 1989 nominiert und erhielt unter anderem den Golden Globe Award wie auch den Goldenen Bären für den besten Film.

Dass sich ein so kleines Theater wie die Spessartgrotte in Gemünden-Langenprozelten die Theateradaption wagt, ist mutig. Doch dieser Mut lohnt! Regisseurin Helga Hartmann zeichnet mit ihrem Schauspielteam eine warmherzige Tragikomödie.

Der selbstverliebte Autohändler Charlie Babbitt (Daniel Baaden) steht kurz vor der Pleite, als sein Vater stirbt. Er erfährt, dass nahezu das gesamte Vermögen zugunsten eines unbekannten Nutznießers in eine Stiftung fließt – und der entpuppt sich als sein bislang unbekannter älterer Bruder. Als Charlie den autistischen Raymond (Steve Walter) aus der Klinik entführt – anfangs, um an das Geld ranzukommen – startet für die ungleichen Männer ein aufregender Road-Trip. Die große Herausforderung für Steve Walter in der Rolle des Autisten und Zahlengenies Raymond ist es zu zeigen, wie hochsensibel jener Mann ist, der äußerlich keine Gefühle ausdrücken kann und dem nur wiederkehrende Abläufe und Rituale Sicherheit geben. Walter lehnt sich eng an Dustin Hoffmanns Rolleninterpretation an – das fängt bei der Kleidung an, reicht über die Art zu sprechen bis hin zu den leicht gekrümmten zuckenden Fingern. Doch die Nähe zum Film stört keineswegs. Steve Walter transportiert gelungen, dass auch Raymonds Welt die gesamte Gefühlspalette abdeckt. „C-H-A-R-L-I-E“, buchstabiert er den Namen seines Bruders und zeigt ihm so seine Zuneigung.

Einfühlungsvermögen entwickeln muss im Laufe des Abends weniger der Autist, sondern vielmehr der nur auf den eigenen Vorteil fixierte Geschäftsmann. Daniel Baaden als Charlie Babbitt spielt den Egoisten eingangs arg aufgedreht. Ein bisschen leiser, weniger bühnenhaft, stattdessen vielschichtiger ließe sich Charlies Charakter noch glaubhafter herausarbeiten. Das aber ist Kritik auf hohem Niveau. Die Läuterung vom geldgeilen Unsympathen zum Gefühlsmenschen nimmt man ihm ab: „Mein Bruder steht nicht zum Verkauf!“ Den Road-Trip der Babbitt-Brüder flankieren Theo Gündling in der Rolle des Arztes Dr. Bruener, Andrea Feuchtenberger und Mark Plewe in wechselnden Rollen und eine reizende Karoline Troger als Charlies Freundin Susan.

Ständig wechselnde Szenarien auf der Kleinkunstbühne? Andy Hartmann hat diese Schwierigkeit ansprechend schlicht gelöst: Er arbeitet mit weißen Vorhängen, schwarzen Kisten, Licht und Projektionen, so dass sich die Bühne in kürzester Zeit vom Hotelzimmer in ein Casino, in ein Café oder eine Klinik verwandeln lässt, ohne groß abzulenken. Auch in Zukunft mehr Drama und mehr Tiefgang, will man dem kleinen Theaterteam um Regisseurin Helga Hartmann beim Endapplaus zurufen. Mindestens zwei Botschaften kommen an: Es lohnt, sich auf andere Sichtweisen einzulassen. Und Geld allein macht ein Leben nicht wertvoll.

Bildnachweis: Michaela Schneider

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