Diplom-Physiker und Diplom-Komponist Christof Weiß analysiert mittels Algorithmen große Musik-Datenmengen

von Michaela Schneider (erschienen in Ausgabe 09/2023)

Er schloss ein Physikstudium ab und hält ein Diplom für Komposition in Händen. Das eine habe mit dem anderen nichts zu tun? Darüber kann Christof Weiß nur müde lächeln. Seit Ende 2022 ist der 36-Jährige Professor für „Computational
Humanities“ an der Universität Würzburg. Mit Hilfe von Algorithmen analysiert er große Datenmengen aus Musik und anderen Kulturbereichen.

Mit seinem Team verfolgt er zwei große Forschungsziele: „Wir wollen Algorithmen verbessern, so dass sie lernen, mehr über Musik oder Kultur im Allgemeinem zu verstehen. Und wir wollen neue Werkzeuge für die Geisteswissenschaften bauen.“ Heute gebe es riesige Kulturdatenmengen, bei Spotify etwa finden sich mehr als einhundert Millionen Musikstücke. Schon aus Zeitgründen sei es unmöglich, diese als Wissenschaftler alle zu erfassen.

Algorithmen sind objektiv

Hier kommen die Algorithmen ins Spiel, um zum Beispiel auf interessante Trends oder statistische Entwicklungen zu schauen. „Statt ins Detail und in die Tiefe können wir also in die Breite gehen“, sagt Weiß. Und er benennt einen weiteren Vorteil: Der Algorithmus sei in einem gewissen Sinne objektiv. „Er weiß erstmal nicht, dass Bach als genial angesehen wird. Hier kann das intuitive, sehr wertvolle Wissen aus der Geisteswissenschaft flankiert werden mit objektiven, mathematisch basierten Methoden.“ Messen lasse sich so, was hervorsteche und sich abhebe vom Häufigen. Sprich: Ausreißer lassen sich erfassen. Für deren Einordnung wiederum braucht es dann entsprechende menschliche Expertise.

Beispiel gefällig? Die Wissenschaftler „zwangen“ den Rechner zu kategorisieren und so Komponisten in künstliche Epochen einzuteilen. Der Würzburger Komponist Giovanni Benedetto Platti zum Beispiel wurde zu den Romantikern gruppiert, obwohl er im frühen 18. Jahrhundert gelebt hatte. Carl Philipp Emanuel Bach erlitt ein ähnliches „Schicksal“ unter dem Algorithmus – und in seinem Fall hat Experte Weiß dafür durchaus eine Erklärung: „Er arbeitete in der Übergangsphase zur Klassik. Damals wurde mit Stilrichtungen experimentiert. Und er ist als Vertreter des sogenannten „Empfindsamen Stils“ bekannt. Das zeigt schon, dass romantische Ideen nicht allzu weit weg liegen.“

Weil gerade auch klassische Musik extrem vielfältig und hochdimensional ist, arbeiten die Wissenschaftler nicht mit herkömmlichen Empfehlungsalgorithmen, sondern legen abstraktere Stileigenschaften zugrunde: „Wir bauen Tools, die von der Klangfarbe unabhängig sind und eher Tonhöhen- oder Akkordverläufe erfassen.“ Diese Tools seien keine „Black Box“, um eine gewisse Kontrolle darüber zu behalten, was der Algorithmus erfasst und um stärker eingreifen zu können.

Musik ist Kommunikation

Und wie schaut Christoph Weiß nicht als Informatiker, sondern als Komponist und Musiker auf Algorithmen, die Musikstücke bis ins Detail zerlegen? In der Analyse sei er schmerzfrei, sagt der 36-Jährige. Er habe schließlich ein gutes Gefühl dafür, was sie könnten und was sie nicht könnten. Die Angst, dass menschliche Kompetenz ersetzt oder verdrängt werde, hält er für unbegründet. Aber: Er würde sich selbst in kein Konzert setzen wollen, in dem stundenlang maschinell komponierte Werke gespielt würden.

„Dafür ist mir meine und die Lebenszeit meiner Mitmenschen zu schade, weil für mich Musik im Wesentlichen Kommunikation ist. Ein Musikstück bewegt, weil es etwas ausdrückt, das von einem anderen Menschen kommt“, sagt er.

Bildnachweis: Ulrike Weiss

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