„Sisyphos auf Silvaner“ feiert die Uraufführung am Mainfranken Theater

von Michaela Schneider (erschienen in Ausgabe 4/2019)

Fränkische Weinseligkeit –  und dazwischen Freigeist Sisyphos (Mitte). Von links: Anton Koelbl, Bastian Beyer und Lenja Schultze.Für Sisyphos war es der Job seines Lebens: Jene herrliche Arbeitsroutine, als er seinen Stein immer und immer wieder den gleich Berg hochrollen durfte.

Die Götter sahen dies nicht gern, war die Sisyphusarbeit doch als Strafe gedacht. Athene sprach: „Es reicht, schickt ihn nach Würzburg!“ Und da prallt der Freigeist nun auf Weingeist Silvaner. Für den armen Sisyphos ist`s eine Katastrophe. Für Würzburgs Theaterbesucher war die Uraufführung von Gerasimos Bekas‘ Kammerspiels „Sisyphos auf Silvaner“ in Regie von Albrecht Schroeder ein groteskes Vergnügen – unterhaltsam, bitterböse, intelligent, nachdenklich.

Ende 2017 hatte das Mainfranken Theater Würzburg erstmals ein Leonhard-Frank-Stipendium zur Förderung zeitgenössischer Dramatik vergeben. Bekas, Jahrgang 1987, wuchs in der Nähe von Würzburg auf, heute lebt er in Berlin. Im November 2018 ist mit „Alle Guten waren tot“ sein Romandebüt erschienen. Sisyphos (Bastian Beyer) hat genug von Würzburg, wartet an einer Bushaltestelle um zu gehen. Das Bühnenbild von Susanne Hoffmann und Karolotta Matthies ist damit gesetzt, mehr als ein fast kammerbühnefüllendes Wartehäuschen, drei Stühle und ein Haltestellenschild braucht es erstmal nicht. Achja, und einen griechischen Tempel in fränkischen Weinbergen. Franconia (Lenja Schultze) und der Chor (Anton Koelbl) wollen „Sisy“ allerdings nicht einfach gehen lassen und planen eine Abschiedsparty.

Was sind das für herrlich zugespitzte Gestalten! Franconia, auf den allerersten Blick eine ganz sympathische Figur, wenn auch dem Publikum einen Bocksbeutel voraus und offensichtlich traditionsverhaftet, verkörpert, wie sich immer heftiger offenbart, alle „gruseligen“ Eigenschaften, die als typisch fränkisch gelten. Der Chor – diese geschichtliche Instanz des griechischen Dramas – tritt bei Bekas als eine einzige Person auf und wundert sich darüber selbst. Zudem nimmt er es mit der historischen Wahrheit nicht so genau.

Der Silvaner fließt, das Stück beginnt locker – bis die ersten Glockenspieltöne albtraumhafte Momente für Sisyphos einläuten: Die 90-jährige Oma Hilde erinnert sich an den Krieg – „und hier sind sie marschiert, wunderbar“. Zeit für Selbstkritik, die Frage nach einer Mitschuld – keine. Als „Sisy“, zurück auf der Abschiedsparty, wissen will: „Was hättet Ihr getan?“, beschimpft Franconia ihn für sein „beschissenes Vergangenheitsproblem“. Weitere surreale Schaudermomente folgen. Wie erging es Gastarbeitern in Würzburg? Welche Erfahrungen machen Menschen heute? Humor, Ironie und bösester Zynismus liegen in Gerasimos Bekas Bühnenspiel grandios nah beieinander. Das Publikum lacht, das Publikum gruselt sich beim Blick in den fränkischen Spiegel. Stammtischsprache wird dauerentlarvt. Und der Appell beim Publikum kommt an – ob er nun jedem Würzburger gefällt oder nicht: „Hört auf, Euch alles in Würzburg schön zu reden (und zu trinken), lernt aus der Geschichte, zeigt Haltung!“

Bildnachweis: © Gabriela Knoch

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