Umjubelte „Emilia Galotti“ im Kleinen Haus des Mainfranken Theaters

von Renate Freyeisen

Keine Dokumente gefunden.

In Zeiten der „me-too“-Bewegung ist das schon über 250 Jahre alte Stück „Emilia Galotti“ des Dramatikers Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) aktueller denn je. Denn dieses Trauerspiel der Aufklärung behandelte die damals noch unbeschränkte Verfügung eines Mächtigen über ihm Unterlegene, hier eines Fürsten, und das unbestrafte Ausleben seiner sexuellen Lust. Solches kann man heute auf den Geldadel oder Prominente übertragen.

Doch darum ging es Sigrid Herzog bei ihrer packenden, auf die Hauptpersonen konzentrierten, sinnvoll gekürzten Inszenierung im Kleinen Haus des Würzburger Mainfranken Theaters nur bedingt. Sie zeigte vor einem quasi „neutralen“ Bühnenbild, einer drehbaren Wand, die erst am Schluss einen Lichtspalt durchlässt, glaubhaft sehr unterschiedliche Personen von heute (Ausstattung: Marcel Keller), und woran sie gesellschaftlich scheitern in ihren Lebensentwürfen. Nur einer behält unangefochten seine Stellung, der Prinz Hettore Gonzaga. Leonard Pfeiffer ist in dieser Rolle quasi Dreh- und Angelpunkt des Dramas, gutaussehend, jung, irgendwie noch unausgegoren, seiner Verantwortung kaum gewachsen, was sein Umgang mit Bittschriften oder einem Todesurteil beweist, scheinbar sensibel, wie es sein Gitarrenspiel vorgibt, launisch in seinen sexuellen Wünschen, und in seinem schicken offiziellen Frack ein attraktiver junger Mann, der sich alle Freiheiten herausnehmen kann. Als sein „Werkzeug“ fungiert sein Kammerherr Marchese Marinelli.

Martin Liema, äußerlich schon unsympathisch als Glatzkopf mit gedrungener Gestalt, gibt ihm unberechenbar diabolische Züge, ein Intrigant, kalter Beobachter möglicher Komplikationen, der alle Verantwortung für seine Untaten auf den Prinzen ablädt und hinterrücks in vorausschauendem Gehorsam den Grafen Appiani ermordet, Florian Innerebner, den Rivalen seines Herrn, der die von diesem begehrte Emilia Galotti heiraten will. Die aber, ein junges, unerfahrenes Mädchen, überbehütet, eine noch unschuldige Schönheit, stachelt ohne es zu wollen den Prinzen zur sexuellen Eroberung an. Pippa Fee Rupperti, anfangs im braven Schulkleid, später züchtig im weißen Hochzeitsgewand, verkörpert genau dieses noch unsichere Mädchen, hin- und hergerissen zwischen Eltern- und Gattenliebe, entdeckt aber nach der Entführung zum Prinzen die Leidenschaft, reißt sich am Schluss ihr Kleid fast vom Leib. Der Prinz hat das sexuelle Begehren gelernt durch die darin erfahrene Gräfin Orsina, Johanna Meinhard, benötigt sie nun nicht mehr; das führt sie, die ihn wirklich liebte, zu rasender Empörung, und sie stachelt den Vater der Emilia, Odoardo, einen bürgerlich angepassten, sittenstrengen Mann, Hannes Berg, dazu an, seine Tochter zu töten; da kann seine Frau Claudia, Nicole Kersten, die schon den gesellschaftlichen Aufstieg erträumt hatte, nur verzweifeln.

Dass alles aber eine Art warnendes Spiel vor dem Auseinanderklaffen der Gesellschaft war, deutet der gemeinsame Song „I’ll never find another you“ am Ende an.

Bildnachweis: Nik Schölzel

Anzeigen