Leporello im Gespräch mit Johannes Engels und Sybille Linke über die Rolle der „Zeit“ in der Beschäftigung mit Kultur

von Susanna Khoury (erschienen in Ausgabe 12/2015)

Wie die Zeit vergeht...

Seit 37 Jahren ist Johannes Engels bei der Stadt Würzburg. Ein Drittel der Zeit (zwölf Jahre) war er mit der Kultur beschäftigt.

Dass er das so richtig gut gemacht hat, bewies nicht zuletzt die Präsenz nahezu der gesamten Kulturszene von Würzburg bei seiner Verabschiedung im Spitäle am 23. November.

„Er hatte immer eine offene Tür und ein offenes Ohr“, das betonten einhellig Oberbürgermeister Christian Schuchardt, Kulturreferent Muchtar Al Ghusain und auch Ralf Duggen, stellvertretend für den Dachverband, jeweils in ihrer Laudatio. Mit Nonchalance begegnete er Menschen und Problemen, was für einen „Verwaltungsbeamten“ eher untypisch sei.

Er verwaltete Kultur nicht, er gestaltete sie! „Ich sehe schon, ich trete in große Schuhe“, sagte Sybille Linke, neue Würzburger Kulturamtsleiterin, bei Ihrer Einführungsrede.

Die sympathische Theaterwissenschaftlerin, Anglistin und Germanistin trat am 1. November die Nachfolge von Johannes Engels an. Sie wurde aus 170 Bewerbungen für den Job ausgewählt.

Zum Abschluss unserer „Zeit“- Serie im Leporello haben wir beide, den scheidenden Kulturmanager und die neue Kulturmanagerin, gefragt, welche Rolle „Zeit“ für ihren Beruf und sie persönlich spielte und spielt.

Leporello (L.): Johannes, welche Zeiten brechen nun für Dich an? Welche Rolle hat „Zeit“ in Deinem Beruf bisher gespielt, welche spielt sie jetzt in Deinem Ruhestand?

Johannes Engels (J.E.): Welche Zeiten sollen anbrechen? Es ist die Zeit der Nachlese, der Vertiefung gelebter Arbeit und Erfahrungen und die Zeit der Vorbereitung auf den Abschied aus unserem Leben. Ich denke nicht über die Zeit nach, weder im Beruf noch im Privatleben, und ich nehme mir für alles, was ich mache, die angemessene Zeit – das ist alles. Mein Leben als Musiker und Lehrer hält aktiv an und bringt mir vielleicht noch einige gute Schaffensjahre.

L: Sybille Linke, welche Rolle spielt „Zeit“ in Ihrer neuen Aufgabe, welche hat sie bisher gespielt?

Sybille Linke (S.L.): Gerade am Anfang in einer neuen Stadt, bei einer neuen Tätigkeit, braucht man Zeit. Ich versuche, sie mir zu nehmen, vor allem für Begegnungen mit Menschen, für den Besuch von Institutionen, für das Hören und Aufgreifen von Themen, die für Würzburg wichtig sind.

L: Erfordert Kulturmanagement auch Zeitmanagement und wenn ja inwiefern?

J.E.: Das ist doch völlig evident, denn kulturelles Engagement findet vor allem außerhalb der sogenannten Büro- oder Dienstzeiten statt.

S.L.: Künstlerisches Schaffen und aufmerksames Rezipieren brauchen Zeit, ebenso wie die Kunst der Kommunikation. Und abgesehen davon: Gutes Zeitmanagement ist in jedem Job hilfreich.

L: Was „in“ oder „out“ ist, hat ja viel mit der Zeit zu tun, wann muss man als Kulturmanager/in auf Moden reagieren, wann sollte man sie ignorieren?

J.E.: Dann muss man den Begriff Zeit mit „Zeitgeist“ gleichsetzen. Ignorieren sollte man niemals etwas, sondern entscheiden, ob und wie man auf Moden reagiert.

S.L.: Kultur ist immer in Bewegung, verändert sich fortwährend, das ist ja gerade das Spannende. Es ist in meinem Beruf wichtig, die aktuellen Strömungen im Blick zu haben. Künstlerische Arbeit ist ja geradezu ein Seismograph für aktuelle gesellschaftliche Anliegen.

L: Jugendkultur, Kulturangebote für Kinder & Senioren – alles hat seine Zeit ... wie verändern sich im Laufe der Zeit die Angebote für die einzelnen Zielgruppen? Wie lässt sich das managen?

J.E.: Es hat solche Angebote immer gegeben, sie waren mitunter nur mehr oder weniger bekannt oder durch öffentliche Wahrnehmung in unserem Bewusstsein präsent. Managen kann man sie, indem man Einrichtungen schafft, die sich der Durchführung dieser Angebote annehmen. Das Gelingen der Akzeptanz der Angebote hängt stark von den Personen und deren Ideen ab, die mit dieser Aufgabe betraut werden.

S.L.: Die Teilhabe an kulturellen Angeboten grundsätzlich zu ermöglichen, ist und bleibt ein wichtiges Thema, für das ich mich gerne einsetzen möchte. Der Begriff „managen“ kommt mir da sehr technisch vor. Es geht darum, zu gestalten, und vor allem, anderen Gestaltung zu ermöglichen.

L: Die Kulturlandschaft wird immer bunter ... auch durch die Flüchtlinge, die bei uns bleiben – kann man als Kulturmager/in integrative Angebote bieten, wenn ja welche?

J.E.: Man kann, und einige von uns haben dies bewiesen, z. B. drei Studierende der Hochschule für Musik, die das Projekt „Willkommen mit Musik“ initiiert haben und die wir durch den Fachbereich Kultur unterstützt haben.

S.L.: Ein sehr schönes Beispiel ist auch das Projekt „Stories of my Life“ im Museum im Kulturspeicher. Künstlerische Angebote können für Geflüchtete jenseits der Sprache eine Möglichkeit eröffnen, sich gemeint zu fühlen und sich auszudrücken.

L: Muss die Kultur da stärker aktiv werden?

J.E.: Das hängt ganz vom unmittelbaren Bedarf der Flüchtlinge ab. Aber sicher wird Kultur immer ein integrierender Faktor sein.

S.L.: Kultur sollte für alle zugänglich sein und zum Alltag gehören, also auch für Geflüchtete. Aber kulturelle Angebote sind kein Pflaster für politische und gesellschaftliche Defizite.

L: Warum sollte man sich Zeit für Kultur nehmen?

J.E.: Warum sollte man nicht? Man nimmt sich Zeit für so vieles, da darf Kultur doch gern dazu gehören ...

S.L.: Sich Zeit für Kultur nehmen heißt für mich die Lust, mit allen Sinnen wahrzunehmen und damit das Leben in seinen vielfältigen Facetten zu begreifen. Kein Zeitvertreib also, sondern Sinnstiftung.

L: Johannes, wann nimmst Du Dir jetzt Zeit für Kultur und für welche?

J.E.: Ich nehme mir immer Zeit für Kultur – sie gehört zu meinem Lebensinhalt und meiner Lebensmotivation. Für welche? Für alle!

L: Frau Linke, Sie nehmen sich durch Ihre neue Aufgabe Zeit für Kultur. Haben Sie dann noch Muse, privat auch Kultur zu tanken? Oder mit welchen Aktivitäten verbringen Sie ihre Freizeit?

S.L.: Genau wie für Johannes Engels ist für mich ein Leben ohne die Künste nicht vorstellbar. Ich interessiere mich zudem für die Schulung der Wahrnehmung auf anderen Ebenen, zum Beispiel durch das Yoga oder durch den Tanz.

Das Interview mit dem ehemaligen Würzburger Kulturmanager, Johannes Engels, und der neuen Leiterin des Fachbereichs Kultur der Stadt Würzburg, Sybille Linke, führte Leporello-Chefredakteurin Susanna Khoury.

Wegbeleiter
Johannes Engels hat den kunstvoll Verlag bei seinen ersten Schritten vor 14 Jahren, rein ins kulturelle Leben, begleitet und bestärkt, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Seine Begeisterung für unseren blauäugigen Start in die Verlagswelt hinterfragt, aber nie in Frage gestellt.

Uns immer mit Rat und Tat zur Seite gestanden, und applaudiert als wir auf eigenen Beinen stehen konnten. Er adelte unser Kinderkulturmagazin mit einer Pressekonferenz im Rathaus und war immer einer der Ersten, der bei unseren Gesprächsrunden zusagte (Talk im Theater, Talk im Hofkeller).

Als wir Laufen gelernt hatten, zeigte er uns, wie man aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, Kunstvolles bauen kann! Danke Johannes für Deine Wegbegleitung! Für die Zukunft, alles erdenklich Gute und Schöne für Dich. Und mögen sich unsere Wege auch weiterhin kreuzen...!

Kulturagentin
Seit 1. November ist die studierte Theaterwissenschaftlerin, Anglistin und Germanistin neue Leiterin des Fachbereichs Kultur.

Aus rund 170 Bewerbungen ist Linke als künftige Leiterin des Fachbereichs Kultur ausgewählt worden. Seit 2011 ist sie Programm leitende Geschäftsführerin des von der Kulturstiftung des Bundes und der Stiftung Mercator geförderten Modellprogramms „Kulturagenten für kreative Schulen“.

Sybille Linke stammt gebürtig aus Schleswig-Holstein, hat in Berlin und in Glasgow studiert und sich berufsbegleitend im Kultur- und Bildungsmanagement weitergebildet.

Nach ihrer Tätigkeit als Regieassistentin und Regisseurin an diversen Theatern war sie seit dem Jahr 2001 Geschäftsführerin beim „Workshop Hannover e.V.“, einer soziokulturellen Kultureinrichtung mit breit gefächerten Projekt- und Weiterbildungsangeboten in unterschiedlichen Kunstsparten. Im Rahmen des Modellprogramms „Kulturagenten für kreative Schulen“ hat sie gemeinsam mit 56 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern insgesamt 138 Schulen in fünf Bundesländern betreut und dabei die Vernetzung der Akteure, von den Stiftungen über die Ministerien bis hin zu den beteiligten Schulen und kooperierenden Kultureinrichtungen, gesteuert. red

Bildnachweis: Khoury, Müller

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