Der britische Komponist Graham Lack fühlt sich mit jeder Uraufführung befreit

von Nicole Oppelt (erschienen in Ausgabe 9/2012)

Sie ist der Schlüssel zum Verständnis: Heterophonie spielt im Werk von Graham Lack eine große Rolle.Die Ankündigung des Würzburger Monteverdichors klingt schaurig und spannend zugleich: „Sitherwood“ fungiert „als Metapher für manche schrecklichen Ereignisse unserer Zeit“, heißt es da zum Eröffnungskonzert der Saison 2015.

Was sich dahinter verbirgt, kann das Publikum Anfang Februar mit fulminantem Ensemble in der Neubaukirche erleben.

Vor der Uraufführung ist natürlich auch beim Komponisten Graham Lack die Nervosität groß – das lege sich mit den Jahren nicht.

„Es ist eine Art emotionaler Abschied“, so der Musiker. Das Stück werde wie ein Schiff auf Jungfernfahrt geschickt. Noch stehe es am Kai.

Doch die Last sei dahin, das „Leb' wohl!“ erfolge gern. „Es ist ein Aufatmen – im positiven Sinn. Dirigent, Chor und Orchester wird die Verantwortung übertragen.

Was dann folgt, ist ein anspruchsvoller Ohrenschmaus, der in seiner Komplexität beim ersten Hören wohl kaum in Gänze zu erfassen ist.

„Es gibt zwei Wege, mit einer so großen Besetzung umzugehen. Entweder, es wird sehr laut, weil alles vorhanden ist, oder man komponiert im Sinne Mahlers und geht den Weg der Kammermusik“, erklärt der Wahl-Münchner.

In der Tat konnte er für die Würzburger Uraufführung aus dem Vollem schöpfen: Es kommen zahlreiche Instrumente zum Einsatz, die sich normalerweise nicht in einem Sinfonieorchester finden. „Im Endeffekt versuche ich beides“, sagt er. Wann und wo, das möchte er vorher aber nicht verraten.

Nur soviel, sein Werk sei als „Ergänzung“ zu den weiteren Stücken des Konzertes, Jean Françaix' „Die Apokalypse“ sowie Bertold Hummels „Friedensbotschaft der Apokalypse“ op. 94 (UA) zu verstehen.

„Changierende Klangfarben und heterophone Einsätze des Chores, auch im Orchester“, sind jedoch die entscheidenden Stichwörter, die dem Publikum helfen, seine Klangsprache verstehen.

Der 1954 im ehemaligen Kurort Epsom in der Grafschaft Surrey geborene Komponist sucht seine Inspiration aber erst einmal ganz woanders – im geschriebenen Wort: „Bei jedem neuen Werk gibt es einen literarischen Ausgangspunkt.“

Im aktuellen Fall spielte ihm der englische Apotheker, Arzt und Astrologe Nicholas Culpeper und dessen Kompendium „Complete Herbal“ in die Hände. Darin befindet sich eine Beschreibung der Heilpflanze Artemesia Abrotanum (Wormwood), die wiederum zur Wermutfamilie gehört.

Von hier schlägt der Absolvent des renommierten King's College und des Goldsmith's College der University of London in seinem Libretto eine „Brücke“ zur Apokalypse (8:12), bei der es um den Stern namens „Wermut“ geht.

Lack ist mit den biblischen Stoffen durchaus vertraut. Er selbst kommt aus der englischen Chortradition, singt als Junge in der St. Paul’s Church in Cheam, in der er später auch als Kirchenmusikdirektor fungiert.

„Die ersten Stücke, die ich komponiert habe, waren, bis auf kleinere Klavierstücke, die nicht mehr in meinem Oeuvre sind, Psalmvertonungen“, erinnert er sich.

Bald gesellten sich aber Werke für Chor und Orchester dazu. Die A-Cappella-Musik allein sei ihm „zu eng“ geworden.

„Ich denke, es gibt einen springenden Punkt, ganz im Sinne von 'springen'“, beschreibt Lack seine Annäherung von Literatur und Musik.

Genau ein Wort sei es gewesen, das ihm auch diesmal ins Gesicht „gesprungen“ sei: „Bitter“, ein Attribut der Pflanze, die in beiden, nun gegenüber gestellten Quellen vorkommt.

Die bittere Pflanze, die dennoch heilt, versus die Pflanze, die ein Drittel der Gewässer bitter werden lässt und einen „katastrophalen Zustand“ herbeiführt.

Zu abstrakt? Mitnichten! „Ich verstehe die Musik als eine universelle Sprache im Sinne der guten zwischenmenschlichen Kommunikation“, erklärt Lack.

Die Ebene sei jedoch nicht die der Semantik, sondern die der Affekte.

„Mein Weg als Komponist ist der, dass ich versuche, dramaturgische Werke zu schreiben, in der der Chor oder die menschliche Stimme eine Art Gleichberechtigung haben.“

Es sei erstaunlich, wie wenig Text es dazu tatsächlich brauche.

Mehr unter: www.hochschulchor.uni-wuerzburg.de

Bildnachweis: Graham Lack

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